|
Wir schreiben den 20. Nesan Einleitung Der Autor RJ's Blog Buchübersicht Buchdetails Handlung Kurzgeschichte Weitere Produkte Enzyklopädie Personen Heraldik Alte Sprache Prophezeiungen Namensgenerator
Verbleibend: 84 Umfragearchiv Niemand :`( Im Discord: sharoz |
Autor: Iscoron Veröffentlicht: 15.07.2003, 19:19:40 Letzte Änderung: 15.07.2003, 19:20:27 Schreibrecht: Nur Administratoren [ Artikel bearbeiten ] Abstract: Eine Geschichte in der RDZ-Welt über einen jungen Mann, der feststellen muss, dass er die Macht lenken kann und nach einem Unfall von zu Hause flieht; und gleichzeitig meine Charstory. Mit besonderem Dank an Tamica und Cila, die sich als Korrekturleserinnen zur Verfügung gestellt haben. Viel Spaß beim Lesen! Das Rad der Zeit dreht sich, Zeitalter kommen und vergehen und lassen Erinnerungen zurück, die zu Legenden werden. Legenden werden zu Mythen, und sogar der Mythos ist längst vergessen, wenn das Zeitalter wiederkehrt, aus dem er hervorgegangen ist. In einem Zeitalter, das von einigen das Dritte Zeitalter genannt wurde, einem Zeitalter des noch kommen sollte, einem lange vergangenen Zeitalter erhob sich in den Verschleierten Bergen ein Wind. Der Wind war nicht der Anfang. Es gibt bei der Drehung des Rads der Zeit keinen Anfang und kein Ende. Aber es war ein Anfang. Während die Sonne im Begriff war, hinter dem Horizont zu verschwinden, wehte der Wind nach Osten über das Land Ghealdan, durch die Hauptstadt Jehannah, wo er die roten Fahnen mit den drei silbernen Sternen auf den Türmen wehen ließ, weiter entlang der Straße nach Lugard. Er brachte auch den einfachen grünen Wollumhang eines jungen Mannes zum Flattern, der alleine die breite Straße entlanglief. Sein von der Reise verschmutztes Gesicht und die mittlerweile leicht zerzausten dunkelblonden Haare verbarg er unter einer Kapuze. In den letzten Tagen hatte er sich nicht die Zeit zum Rasieren oder gar zum Baden genommen. Er hieß Iscoron, doch das wusste in dieser Gegend wohl niemand – hoffentlich niemand. Zu dieser späten Stunde waren nur noch wenige Leute unterwegs und diejenigen, die es waren, hatten es entweder besonders eilig oder sie hatten etwas zu verbergen. Iscoron wusste selbst nicht, zu welcher Gruppe er nun eigentich gehörte. Jehannah lag nun mehrere Tagesreisen hinter ihm und doch war er noch immer der Meinung, noch nicht genug Abstand zwischen sich und die Stadt gebracht zu haben. Er wusste nicht was er mehr fürchtete. Dass man ihn suchen und finden würde, oder dass er die Entscheidung traf, doch noch umzukehren. Beides wäre gefährlich, nicht nur für ihn, sondern auch für seine Umwelt. Seine einzige Chance war es, Ghealdan zu verlassen. Er musste nach Caemlyn gelangen, in die Hauptstadt von Andor, um von dort aus die Schwarze Burg zu finden. Die Schwarze Burg. Er wusste noch nicht einmal mit Sicherheit, dass sie existierte. Alles, was man in Ghealdan darüber hörte, waren Gerüchte, bestenfalls aus dritter oder vierter Hand. Vieles von dem, was die fahrenden Händler, die die Gerüchte brachten, erzählten schien maßlos übertrieben, als wäre jeder darauf bedacht, seine Erzählungen mit soviel Unwahrheiten auszuschmücken wie nur möglich. Aber so war es immer mit Gerüchten. Allein die Dienerschaft des Jheda-Palastes war in der Lage, innerhalb weniger Stunden dutzende von verschiedenen Geschichten zu erzählen, die alle auf einem einzigen wahren Ereignis beruhten. Am schlimmsten waren bei so etwas die Küchenmägde. Iscoron hatte ihren Klatsch selbst miterlebt. Er hatte im Palast gewohnt, da sein Vater Erster Sekretär König Johanins war. Er selbst half seit Jahren bei der Dienerschaft aus, bis zu seiner Flucht. Die Sonne war beinahe vollständig hinter den Hügeln versunken. Er hätte am letzten Gasthaus anhalten sollen. Er war heute bereits genug gelaufen. Doch er war weitergegangen, in der Hoffnung, eine weitere Herberge zu finden, ehe die Nacht hereinbrach. Er hasste es, im Freien zu übernachten, auch wenn die Nächte um diese Jahreszeit nicht allzu kalt waren. Zu seinem Glück kam einer der verstreuten Bauernhöfe in Sicht. Wenn die Besitzer nun noch ein Bett oder auch nur einen Platz in der Scheune hätte, wäre Iscoron vollkommen zufrieden. Nun ja, so zufrieden, wie er unter den gegebenen Umständen sein konnte. Im Haus schienen Kerzen zu brennen, ein warmer Schein drang durch die Spalten der Läden auf den Hof hinaus. Iscoron erreichte die Tür und klopfte. Drinnern rumpelte als, dann hörte er das Geräusch eines Riegels, der zur Seite geschoben wurde. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf einen Mann mittleren Alters in typischer Bauernkleidung frei. „Was wollt ihr, Fremder?“ fragte der Bauer und musterte Iscoron mißtrauisch. „Verzeiht, dass ich euch zu so später Stunde störe.“ begann er, „Ich habe leider das letzte Gasthaus verpasst und suche eine Bleibe für die Nacht.“ Sein Gegenüber runzelte nachdenklich die Stirn. Er schien angestrengt zu überlegen. Iscoron befürchtete bereits, dass er nur darüber nachdachte, wie er ihn vom Hof jagen konnte, doch da antwortete der Bauer: „Beim Licht, wir leben in unsicheren Zeiten. Aber wo kämen wir hin, wenn wir jedem Fremden mit Misstrauen begegnen würden. Wir waren schon immer eine gastfreundliche Familie.“ Iscoron strahlte vor Erleichterung, als er hineingebeten wurde. „Mein Name ist Eiron Daver, und wer seid Ihr, junger Mann?“ Diese Frage hatte Iscoron gefürchtet. „Ich bin Julan Marodin, ich komme aus Samara.“ log er. Schon kurz nach seinem Aufbruch aus Jehannah hatte er sich diesen Namen als Decknamen zugelegt, für den Fall, dass man nach ihm suchen würde. Es würde sein Auffinden deutlich erschweren. Iscoron wurde in die Küche gebeten, wo er von Meister Davers Frau einen Teller Eintopf angeboten bekam. Dankend nahm er an. Der Eintopf war vielleicht nichts besonderes, aber Iscoron hatte seit einem kargen Frühstück, das aus einem Stück Brot und einem Apfel bestand, nichts mehr gegessen. Gierig machte er sich darüber her. Frau Daver, eine dickliche Frau mit einem warmen Lächeln, schien seinen Appetit als Kompliment für ihre Kochkünste aufzufassen. Nach dem Essen begann das Ehepaar, sich mit ihm zu unterhalten. Iscoron fiel es nicht leicht, so viel lügen zu müssen, als er über sich erzählen sollte. Er hoffte, dass seine Nervosität nicht auffiel. Auch wenn Daver ihn manchmal schief ansah, schien er doch seine Geschichte darüber zu glauben, dass er dem Propheten des Lord Drachen aus dem Weg gehen wollte. Der Prophet – keiner in Ghealdan kannte seinen wahren Namen – war vor einiger Zeit in Samara eingetroffen und stiftete seitdem Unruhe im Süden des Landes. Im Palast erfuhr man so einiges über die Lage im Land, wofür Iscoron jetzt sehr dankbar sein konnte. Es war weniger als eine Woche her. Der Tag, an dem sich Iscorons Leben verändert hatte. Dabei fing der Tag doch an wie jeder andere. Iscoron arbeitete als Gehilfe des Bibliothekars Lewyn. Er mochte Bücher, schon immer. Glücklicherweise bot ihm die Stellung seines Vaters die Möglichkeit, lesen und schreiben zu lernen, sogar einige Wörter aus der Alten Sprache hatte er sich angeeignet. Die königlich-ghealdanische Bibliothek war nicht besonders groß, verglichen mit denen, die es in Cairhien und Tar Valon geben sollte, aber dennoch hatte Iscoron hier Stunden verbracht. Wer hätte gedacht, dass er bald – früher als ihm lieb war – aufbrach und so Gelegenheit erhielt, einige der Dinge, über die er gelesen hatte, in der Wirklichkeit zu sehen? Am Vormittag war Iscoron mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Lewyn legte sehr viel Wert auf Ordnung, eine Fähigkeit, die für einen Bibliothekar sicher sehr nützlich war. Vielleicht übertrieb es Lewyn jedoch manchmal. Ständig hatte er etwas zu bemängeln, auch wenn er seinen Gehilfen eigentlich sehr schätzte. Im Verlauf der Arbeiten kam ein Diener in roter Livree mit den drei Silbersternen auf der Brust in die Bibliothek und forderte für den Hohen Kronrat einige Landkarten an. Gelegentlich griffen die Adligen des Kronrates auf die Möglichkeiten die Bibliothek zurück. Lewyn suchte mit Iscoron die entsprechenden Karten zusammen und schickte ihn zu den Räumen des Kronrates im Westflügel. Mit einem Dutzend großen gerollten Karten auf den Armen machte sich Iscoron auf den Weg. Er eilte durch die Gänge des Palastes. Es hatte trotz Lewyns Ordnungssystem einige Zeit gedauert, die entsprechenden Pläne herauszusuchen. Und den Kronrat ließ man nicht warten. Der Rat hatte große Machtbefugnisse, die nur noch durch die des Königs übertroffen wurden. Manchmal gewann man jedoch im Palast den Eindruck, dass der Kronrat König Johanin nicht beriet, sondern vielmehr gegen ihn intrigierte. Iscoron hatte bereits einiges über Daes’Daemar, das große Spiel der Häuser, gelesen, doch war es in Ghealdan nicht so verbreitet wie in anderen Nationen, das glaubte er zumindest. Obwohl er im Königspalast eigentlich an der Quelle saß, drangen nur selten mehr als Gerüchte über die Absichten der Lords und Ladies bis zur Dienerschaft vor. Iscoron verfiel ins Rennen, Bedienstete sprangen ihm aus dem Weg. Er bog um eine Ecke und hielt auf die große doppelflügelige Eichentür zu, die in den Beratungsraum führte. Eine Lady, gekleidet ein ein langes fließendes Kleid auf weinroter und beiger Seide sah ihn verwundert an. Sie schien ebenfalls in den Beratungsraum gehen zu wollen. Am Rande seines Bewusstseins erkannte Iscoron sie als Lady Alliandre Maritha Kigarin. Aus einer anderen Richtung rauschte ein weiterer Diener mit einem Tablett und mehreren Silberpokalen darauf heran. Iscoron nahm ihn kaum im Augenwinkel wahr, da passierte es schon. Vielleicht war es eine Falte im Teppich gewesen, vielleicht auch etwas anderes, aber es brachte Iscoron ins Stolpern. Der Diener versuchte erschreckt auszuweichen, reagierte jedoch nicht schnell genug. Iscoron, der andere Diener, die Landkarten und halbes Dutzend mit Wein gefüllte Becher pruzelten zu Boden. Alliandre wich erschreckt zurück, um den umherfliegenden Spritzern des Weins zu entgehen. „Möchtet Ihr wirklich nicht noch einen Becher Tee, Julan?“ fragte Frau Daver. „Ihr saht aus, als wärt Ihr sehr durstig?“ „Danke, Frau Daver, aber ich habe Eure Gastfreundschaft bereits genug belastet.“ Iscoron fühlte sich unwohl in seiner Haut. Es war falsch, diese offenherzigen Leute anzulügen. Aber er hatte keine Wahl. Wer wusste, was passieren würde, wenn Daver und seine Frau die Wahrheit erfuhren? Er versuchte, sich selbst zu beruhigen. Das letzte Mal war es auch passiert, weil er sich aufgeregt hatte und wütend geworden war. „Wohin seid Ihr eigentlich unterwegs. Es ist ungewöhnlich, dass Jungen Eures Alters alleine in der Gegend herumreisen.“ Natürlich stimmte das, was Daver sagte. Iscoron war wirklich noch sehr jung, aber er war kein Kind mehr. Erneut konzentrierte sich Iscoron darauf, möglichst glaubwürdig zu klingen, als er Daver erklärte, er sei auf dem Weg nach Lugard und würde dann weiter nach Illian reisen. Sein eigentlicher Weg würde ihn von Lugard nach Norden führen. Er musste die Schwarze Burg finden. Nur dort konnte man ihm vermutlich helfen, das zu kontrollieren, was in ihm ruhte – wenn es denn stimmte. Unsicher, den Kopf gesenkt, folgte Iscoron dem Haushofmeister Remon Marenne in einen unbenutzten Raum. Marenne nahm seine Position sehr ernst. Und er schien es zu lieben, seine Macht gegenüber den Dienern des Palastes zu demonstrieren. Die wenigsten Bediensteten hatten etwas für Marenne übrig, obwohl er seine Arbeit eigentlich sehr zufriedenstellend erledigte. Seine dunklen Augen wirkten wie die eines Marders, fand zumindest Iscoron. Marenne hasste es, wenn Leute ihre Arbeit nicht richtig erledigten. Die älteren Diener schrie er meitens nur an, aber an den jüngeren statuierte er gelegentlich Exempel. Nach dem, was Iscoron passiert war – die Landkarten wiesen Weinflecken auf, ebenso der Teppich und Lady Alliandres Kleid war nur knapp verschont geblieben – erwartete er einige harte Schläge, an die er sich länger erinnern würde, als an die blauen Flecken, die er sich bei dem Zusammenstoß zugezogen hatte. Marenne begann mit einem Vortrag über ordentliches höfisches Benehmen, warf Iscoron dabei mit seinen Marderaugen Blicke zu, als wollte er ihn töten. Die Unfähigkeit der Dienerschaft würde man auf ihn zurückführen, sagte er. Iscoron neigte den Kopf demütig noch tiefer zu Boden, um Marenne nicht noch weiter zu provozieren. „Und nun soll dir eine Lektion zuteil werden, damit du in Zukunft von solch unwürdigem Verhalten absiehst.“ sagte er mit kalter Stimme. Kalt war gar kein Ausdruck. Marennes Stimme konnte einen Flächenbrand zum erfrieren bringen. Gerade noch rechtzeitig bemerkte Iscoron die Hand, die von oben schräg auf sein Gesicht neiderfuhr. Er warf sich zur instinktiv zur Seite, um dem wuchtigen Schlag zu entgehen. In seinem Gesicht spürte er den Lufthauch, den die Hand verursachte. Der Hieb selbst jedoch ging ins Leere. Verwirrt und verärgert zugleich erhob Marenne erneut die Hand. Der Schlag traf Iscorons linke Wange. Sein Kopf wurde durch die Wucht herumgerissen. Seine Wange brannte. Für einige Augenblicke wusste Iscoron nicht, wo oben und unten war. Er starrte nur verblüfft ins Leere. Dann kam der Schmerz. Und mit ihm die Wut. Marenne hatte kein Recht, dies zu tun, das hatte er schon früher gedacht, doch noch nie war ihm dieser Gedanke so klar gewesen. Erschreckt bemerkte er, dass Marenne nun einen Rohrstock in der Hand hielt. Nein! Das würde Marenne nicht tun! Iscoron wich auf dem Boden liegend weiter vor seinem Peiniger zurück. Die Wut stieg ins Unermesseliche. Zorn kam hinzu und Haß. Die Gefühle kochten in Iscoron. Er erhob seinen Kopf, um dem Haushofmeister in die Augen zu sehen. Argwöhnisch blickte Marenne zurück, als würde er nicht glauben, dass der junge Diener ihm die Stirn bot, es allein wagte, ihn anzusehen. Der Ärger erfüllte Iscorons ganzen Geist, seinen ganzen Körper, jede Faser, jeden Winkel seinen Bewusstseins. Er schien förmlich in ihn hineinzustörmen, immer mehr. Der Rohstock erhob sich. Noch immer fixierte er den Haushofmeister, machte ihn zum Ziel all seiner Gefühle. Iscoron fühlte, wie ihm die Kontrolle über sich entglitt. Er schien nur noch ein außenstehender Beobachter zu sein. Flammen stießen aus Marennes Livree, leckten über Ärmel, Hose und Brust. Entsetzen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Die Flammen wurden größer, heller, heißer. Marenne schrie, doch Iscoron nahm es kaum wahr. Das Feuer hüllte ihn vollständig ein, verbrannte Kleidung, Haut und Haar. Völlig außer sich versuchte Iscoron, die Kontrolle über sich zurückzuerlangen, um zu entkommen, doch es gelang ihm nicht. Sein Zorn nährte das Feuer immer weiter. Er musste zusehen, wie Marenne verbrannte. „Es ist spät geworden, Julan. Ich werde Euch nun das Gästebett zeigen. Es ist nichts besonderes, aber es ist sicher besser, als draußen im Freien zu nächtigen.“ Dankbar folgte Iscoron Daver. Er hatte wirklich Glück gehabt, einen Hof mit so gestfreundlichen Bewohnern zu finden. Beim Licht, dies war keine Selbstverständlichkeit. Dazu kam noch die Unruhe in der Welt. Angeblich hatten die Aiel wie damals im Aielkrieg das Rückgrat der Welt überquert und waren nach Cairhien eingedrungen, der Stein von Tear sei gefallen und der Wiedergeborene Drache würde die Welt ins Chaos stürzen. Doch während dies alles weit draußen in der Welt geschah, war der Prophet direkt in Ghealdan und sorgte für noch mehr Unruhe. Es war verständlich, dass einige Leute lieber ihren Türen verschlossen. Wer wusste schon, was in diesen Zeiten alles passieren konnte. Iscoron selbst war des beste Beispiel dafür. Remon Marenne war tot und es war sein Werk. Zwar hatte Iscoron noch immer keine Ahnung, wie er es getan hatte, aber er hatte es getan und nur das war wichtig. Daver führte ihn in eine kleine Kammer, die ein einfaches Bett enthielt. Dieser wünschte seinem Gast eine gute Nacht und verschwand dann in Richtung seines eigenen Bettes. Iscorons lag noch eine ganze Weile wach. Er dachte über das nach, was an jenem schicksalhaften Tag passiert war. Wie konnte es sein, dass das Rad der Zeit ein solches Muster wob? Warum? Natürlich fand er keine Antwort auf seine Fragen. Er versuchte zu schlafen, doch immer wieder schossen ihm Gedanken durch den Kopf, die er eigentlich wesentlich lieber verdrängt hätte. Iscoron war schwindelig und übel. Er hatte ständig das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Zusammengekauert hockte er auf seinem Bett. Noch immer war er fassungslos. Was war dort in der Kammer mit Marenne passiert? Er wusste instinktiv, dass er dafür verantwortlich war. Er hatte das Feuer entzündet, auch wenn er nicht wusste wie, ihn traf die Schuld. Es musste die Eine Macht gewesen sein, keine andere Erklärung machte Sinn. Er konnte die Wahre Quelle berühren, er – ein Mann. Saidin nannten die alten Folianten in der Bibliothek den männlichen Teil der Wahren Quelle. Saidin, das verdorben war durch den Fluch de Dunklen Königs. Es machte jeden wahnsinnig, der es benutzte. Lews Therin Brudermörder und die Hundert Gefährten – alle männlichen Machtlenker – waren verrückt gerworden. Sie hatten die Welt zerstört. Und nun schien er zu jenem Kreis von Wahnsinnigen zu gehören. Marenne war dem bereits zum Opfer gefallen. Wer würde nun der Nächste sein? Seine Eltern? Einer seiner Freunde? Lewyn? König Johanin? Dies durfte nicht passieren. Iscoron musste Gewissheit erlangen. Aber wie? Niemand in Jehannah konnte ihm helfen. Wer könnte erkennen, ob er wirklich ein Machtlenker war oder nicht? Eine Erinnerung stieg in ihm auf. Ja, er hatte vor einiger Zeit etwas gehört über den Wiedergeborenen Drachen. Er rief alle Männer, die glaubten, die Eine Macht lenken zu können, zu sich. Nur dort konnte er das herausfinden, was er wissen musste. Es hieß, der Wiedergeborene Drache halte sich in Caemlyn auf, in Andor. Der Weg dorthin war weit. Er hatte keine Wahl. Er musste die lange Reise auf sich nehmen. Iscoron versuchte aufzustehen, wurde jedoch von einem weiteren Schwindelanfall daran gehindert. Nach einiger Zeit versuchte er es erneut, dieses Mal langsamer und vorsichtiger. Langsam ging er zum Kleiderschrank, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend. Am frühen Abend, kurz bevor Iscorons Eltern von der Arbeit zurückkehren würden, verließ er den Palast. Die Übelkeit hatte nachgelassen, doch der Schwindel war noch immer nicht ganz verschwunden. Seine Livree hatte er gegen einfache Wollkleidung und einen dunklen Umhang eingetauscht. In einem kleinen Beutel an seinem Gürtel befanden sich seine Ersparnisse. Hoffentlich würden sie bis Caemlyn reichen. Die Strecke war nicht gerade kurz, noch dazu hatte er kein Pferd. Als das Stadttor in Sicht kam, zog er die Kapuze tiefer ins Gesicht. Es würde noch einige Zeit vergehen, ehe man seine Abwesenheit im Jheda-Palast bemerkte – häufig war er abends noch in der Bibliothek geblieben und hatte die Zeit vergessen, so dass sich seine Eltern keine Sorgen machen würden. Aber es war besser, wenn die Torwachen ihn nicht gleich erkennen würden. Ohne Zwischenfälle brachte er das Tor hinter sich. Die Straße nach Lugard lag vor ihm. Iscoron erwachte. Verworrene Träume hatten ihn unruhig schlafen lassen. Er erinnerte sich kaum noch an den Inhalt, doch er wusste, dass er wieder von Marenne geträumt hatte. Die Erinnerungen an den Flammen stehenden Haushofmeister ließen ihn nicht mehr los. Er konnte sie nie vollständig aus seinem Geist verbannen. Sie kamen immer wieder. Das Krähen eines Hahnes schreckte ihn auf. Er wurde sich seiner Umgebung wieder bewusst. Dies war Davers Hof. Dies war das Gästebett. Im Jheda-Palast waren die Betten zwar deutlich weicher gewesen, aber das war ein Luxus, den er sich nun nicht mehr leisten konnte. Dumpfe Geräusche drangen durch die Wand und verrieten ihm, dass im Haus bereits Leute wach waren. Iscoron blieb noch einige Zeit gedankenversunken liegen und starrte dabei die Decke an. Es lag noch ein langer Weg vor ihm. Und am Ende dieses Weges? Würde sich seine Befürchtung bestätigen, konnte er die Eine Macht lenken? Würde er dann in der Schwarzen Burg bleiben, umgeben von Männern, die dem Wahnsinn näher standen als irgendjemand sonst? Würden vielleicht gar Aes Sedai Jagd auf ihn machen? Oder würde man ihn wieder zurückschicken? Konnte er überhaupt noch nach Jehannah zurück? Er wusste es nicht und er wagte es auch nicht, noch länger darüber nachzudenken. Langsam stand er auf, streifte sich seine Kleidung über und trat wenig später in die Wohnstube. Frau Daver kam gerade mit einer vollen Milchkanne herein und überließ ihm einen Becher davon. Dazu erhielt er sogar noch ein Stück Brot und Käse, ein durchaus annehmbares Frühstück. Nachdem das Essen den Weg in seinen Magen gefunden hatte, war es Zeit sich zu verabschieden. Höflich bedankte er sich bei Daver und seiner Frau für alles. Die beiden waren wirklich freundlich gewesen. Ein Reisender konnte sich glücklich schätzen, solchen Leuten zu begegnen. Wieder in den Wollumhang gehüllt, verließ Iscoron winkend Davers Hof, begleitet von Segenswünschen des Bauern. „Das Licht mit Euch!“ rief er zurück, ehe er außer Hörweite war. Was würde wohl aus seinem Leben werden? Eine ungewisse Zukunft lag vor ihm.
|
Neuigkeiten Foren-Übersicht Artikelübersicht Bücherecke Grußkarten Umfragen Ratespiel Links Chat Discord |
|||||||||||||||||
|
|
||||||||||||||||||
|