|
Wir schreiben den 4. Shaldine Einleitung Der Autor RJ's Blog Buchübersicht Buchdetails Handlung Kurzgeschichte Weitere Produkte Enzyklopädie Personen Heraldik Alte Sprache Prophezeiungen Namensgenerator
Verbleibend: 84 Umfragearchiv Niemand :`( Im Discord: jelnpueskas monzetti Suandin |
Autor: Torgal al´Beriyon Veröffentlicht: 31.07.2003, 18:12:19 Letzte Änderung: 27.10.2003, 05:37:43 Schreibrecht: Nur Administratoren [ Artikel bearbeiten ] Abstract: Eine weitere Geschichte, die nach und nach immer länger werden soll, wir sind gespannt. Nach Ruhm zu streben liegt, so scheint es In der menschlichen Natur Berühmt zu sein, was bringt, was meint es? Erinnerung der Nachwelt nur Doch ist dies’ Form des ewig Lebens Ein güldner Traum von Illusion Und all die Jahre frommen Strebens Verstreichen ohn’ finalen Lohn Was immer eine sterblich Seele Vollbringt, verbricht, vermag, verzeiht Gerät, nachdem der Tod sie stehle letztendlich in Vergessenheit Kapitel I Mühsam setzte er einen Fuß vor den anderen, immer wieder, wie eine Maschine, die nur dazu konstruiert worden war, immer weiter zu gehen, bis in alle Ewigkeit. Es schneite, dicke Flocken sanken unaufhörlich zu Boden und trugen ihren Teil dazu bei, dass das Vorankommen immer schwieriger wurde. Verkrüppelte Äste tauchten hin und wieder aus dem dichten Nebel auf und schienen mit missgestalteten Händen nach ihm greifen zu wollen, wie kranke Riesen, die die einzigen Bewohner dieser Albtraumlandschaft zu sein schienen. Er blutete aus mehreren Schnittwunden und fühlte sich miserabel, fror erbärmlich, so dass er am ganzen Körper zitterte, schien aber gleichzeitig Fieber zu haben, weswegen sein Kopf schmerzte und ihm fortwährend schwindelig war. Er musste einen Unterschlupf finden, bevor es dunkel werden würde. Schon seit er am Laufen war, versuchte er sich zu erinnern, wer er war, wo er war, was er hier eigentlich tat, doch immer als er versuchte, irgendwelche Erinnerungen aus seinem Gedächtnis zu kramen, entzogen sie sich ihm auf seltsame Weise. Er zog den schlecht sitzenden Mantel, den er trug, noch enger um sich zusammen, in der Hoffnung, noch etwas Wärme aus ihm herauszupressen. Endlich sah er vor sich die Umrisse eines Hauses aus dem Nebel auftauchen, das auf einem kleinen Hügel zu thronen schien. Er verlangsamte seine Schritte und blieb schließlich vor dem Haus, das eher eine kleine Waldhütte war, stehen. Sein Atem, der jetzt schneller ging, beschwor in regelmäßigen Abständen kleine Dunstwolken herauf, die den ihn umgebenden Nebel noch zu verdichten schienen. Langsam ging er zur Tür und klopfte, zuerst leise, dann, als sich keine Reaktion abzeichnete, kräftiger. Als sich daraufhin immer noch nichts zu regen schien, rüttelte er leicht an der schon etwas morschen Holztür. Sie war offen. Er trat ins Innere der kleinen Hütte, die zwar relativ gemütlich eingerichtet, jedoch momentan unbewohnt schien. Er streckte sich, nachdem er den Kamin dazu gebracht hatte, ein bisschen Wärme zu spenden, auf dem Holzboden aus und war bald eingeschlafen. Als er aufwachte, wusste er im ersten Moment nicht, wo er war. Er hatte einen höchst seltsamen Traum gehabt, in dem ein Mann plötzlich vom Blitz getroffen worden war. Grelles Tageslicht fiel durch mehrere nicht mehr ganz saubere Fenster herein - der Nebel schien sich aufgelöst zu haben - und offenbarten ein recht idyllisches Bild. Die Hütte war, so klein sie auch war, gemütlich eingerichtet, und der Bewohner schien ein ordentlicher Mensch zu sein. Er legte schnell weiteres Holz von einem kleinen, säuberlich aufgeschichteten Haufen in einer Ecke ins Feuer, das herunterzubrennen drohte. Als das erledigt war, begann er, sich auf die Suche nach irgendwelchen Hinweisen für seine Identität oder den Zweck seines Hierseins zu machen. Als er den Mantel durchwühlte, fand er in einer der Taschen ein stark verknittertes Stück Papier, das in einer kleinen, sauberen Handschrift beschrieben war: Tavor, meine schlimmsten Befürchtungen scheinen eingetreten zu sein, denn er scheint das Talent zu besitzen, auch wenn er es längst noch nicht kontrollieren kann. Es muss dringend etwas unternommen werden um ihn noch aufzuhalten, bevor er zu mächtig wird. Wir müssen uns dringend treffen, um unser weiteres Vorgehen zu planen. Begebt Euch unverzüglich... Hier war der Brief zu Ende, die untere Hälfte schien abgerissen worden zu sein. Tavor. War das sein Name? Es wäre zumindest logisch, denn wie sollte er sonst an diesen Brief gekommen sein. Außer natürlich wenn er ihn geschrieben hätte...Dabei fiel ihm auf, dass er sich daran erinnerte, wie man las und schrieb, es schien wohl doch nicht alles verloren zu sein. Er konnte mit einiger Mühe sogar ein paar Erinnerungen an seine Kindheit hervorkramen, darunter das Gesicht seines Vaters, das ihn liebevoll musterte. Doch wo war das gewesen? Wie hieß sein Vater? Lebte er überhaupt noch? Was war mit seiner Mutter, seinen Geschwistern, so er welche hatte? Er konnte sich nicht erinnern. Als er gerade so grübelnd am Boden saß, öffnete sich auf einmal die Tür der Hütte mit einem leisen Knarzen und ein Mann trat herein. Er schien in mittlerem Alter zu sein, war recht groß, trug einen kurzgehaltenen, dichten Bart, der bereits graue Strähnen aufwies, in einem sonst recht unauffälligen Gesicht. Der Mann war mit einem dunkelgrünen, einfachen Mantel bekleidet und musterte ihn streng. „Was suchst Du hier? Und wer bist Du überhaupt?“ „Ich heiße Tavor“, sagte er ihm zur Antwort, da ihm auf die Schnelle keine andere Antwort einfiel, „und ich habe nur einen Platz zum Übernachten gebraucht, ehrlich!“. „Tavor, so...“, murmelte der Mann, schien sich dann, nachdem er zu dem Schluß gekommen zu sein schien, dass von ihm keine Gefahr ausging, einen Ruck zu geben. „Ich heiße Horwin, bin Jäger hier“, sagte er und reichte Tavor die Hand. „Wo...wo ist denn `hier`?“, wollte Tavor wissen. Horwin sah ihn etwas verwundert an. „Das hier ist meine Hütte, die sich im Sarwon-Wald befindet“. Auf Tavors verständnislosen Blick hin fügte er hinzu: „Etwa fünfzig Meilen nordöstlich von hier liegt Harad Dakar, die Hauptstadt.“. Tavor glotzte noch immer unwissend, was den Mann dazu bewog, leise den Kopf zu schütteln. „Die Hauptstadt von Hardan!“ Kapitel II „Ihr könnt Euch wirklich an gar nichts erinnern?“, fragte Horwin, die Augenbrauen zweifelnd hochgezogen. Tavor hatte ihm soeben seine Geschichte, die erst vor wenigen Stunden begonnen hatte, anvertraut, in dem Wissen, dass er in einer ihm unbekannten Welt ohne einen Gefährten wohl völlig hilflos wäre. Sie saßen in zwei schweren, weich gepolsterten, dunkelrot gefärbten Sesseln in Horwins Hütte; er hatte sich Tavor als Jäger vorgestellt, der die meiste Zeit in dem nahe gelegenen Dorf Sarwon verbrachte, wo er ebenfalls eine Hütte besaß. „Naja“, antwortete Tavor zögernd, da er mit aller Macht versuchte, aus dem Chaos in seinem Kopf irgendeine Erinnerung herauszufiltern. Doch es war wie ein reißender Fluss, in dem man per Hand fischen wollte. Kaum schien etwas in Reichweite, schon wurde es von einem Strudel oder einer Strömung erfasst und verschwand wieder. „Allgemeine Dinge weiß ich schon teilweise, aber an meine eigene Vergangenheit kann ich mich überhaupt nicht erinnern, bis auf dieses eine Bild von meinem Vater...ich weiß nicht, woher ich das Wissen nehme, dass dieser Mann mein Vater ist, aber irgendwie bin ich mir dabei absolut sicher.“. „Ihr scheint einen Schwertkampf hinter Euch zu haben“, meinte Horwin, als er nach dem Gespräch Tavor untersuchte. Das war seltsam, denn er hatte kein Schwert gehabt, als er...ja, als er was? Aufgewacht war, aus einer Ohnmacht vielleicht? Tavor wusste es nicht. Er konnte sich nicht daran erinnern, irgendwie aufgestanden oder losgelaufen zu sein, nur an den ewigen Marsch durch den Wald. Horwin betastete vorsichtig einen tieferen Schnitt an Tavors Seite, und dieser sog scharf die Luft ein. Blut und Asche, tat das weh! Er hatte die Schmerzen bisher irgendwie verdrängt, doch jetzt schienen sie mit der dreifachen Kraft in sein Bewusstsein zu dringen. „Das sieht nicht gut aus, wir sollten ins Dorf hinunter reiten, dort gibt es einen Heiler“, murmelte Horwin, dessen Gesicht einen besorgten Ausdruck zeigte. Sie verließen die Hütte, allerdings nicht, ohne zuvor noch das Feuer im Kamin zu löschen, und umrundeten das Gebäude zur Hälfte. An der Rückseite der Hütte befand sich ein kleiner Stall, den Tavor bei seiner Ankunft in der vorigen Nacht gar nicht bemerkt hatte. Es schneite nicht mehr, der Himmel war klar und die Sonne stand schon recht hoch, doch trotzdem war es bitterkalt. Der Wald wirkte in diesem Licht wesentlich freundlicher, die Bäume, hauptsächlich Tannen und Fichten, doch immer einmal wieder auch ein Laubbaumskelett, standen nicht sehr dicht, und der alles bedeckende Schnee verwandelte ihn in eine bizarre Märchenlandschaft aus Weiß und verschiedenen Schattierungen hellsten Graus. Das ist Lichtschein“, sagte Horwin und deutete dabei auf eine rotbraune Stute, die im Stall stand und scheinbar verdrießlich etwas Heu kaute. Der Stall war, wie es schon von außen erschienen war, klein, und mehr als ein Pferd hätte darin auch nicht Platz gefunden, doch wie auch die Hütte war er sauber und in gutem Zustand. Horwin sattelte sein Pferd, und schon bald darauf ritten beide durch das Weiß des Waldes in ein nahe gelegenes Tal. Während er so hinter Horwin auf Lichtscheins Rücken saß, fühlte Tavor plötzlich verschiedenste Gefühle in sich aufkeimen. Zum einen empfand er eine tiefe Dankbarkeit seinem neuen Gefährten gegenüber, andererseits fühlte er sich auch einsam, in einer Welt gelandet, die ihm größtenteils unbekannt und fremdartig erschien. „Der alte Jaemac wird das schon wieder hinkriegen“, meinte Horwin, hörbar bemüht, seine Stimme zuversichtlich klingen zu lassen. „Der kennt nicht nur so ziemlich jede Stadt und jedes Buch auf der Welt, sondern auch alle Kräuter und sonstige Heilmittel.“ Bald kam das Dorf in Sicht, eine kleine Ansammlung von etwa fünf Dutzend Gebäuden, darunter ein kleines, eingeschossiges Wirtshaus, die in der weiten Winterlandschaft verloren wirkte. Aus den Kaminen stiegen kleine Rauchsäulen auf, auf den Straßen herrschte gähnende Leere. Horwin lenkte Lichtschein in Richtung eines abgelegenen Hauses im Süden des Ortes. Das flache Holzgebäude schien eher am Boden zu kauern als richtig zu stehen. Wortlos stiegen sie ab, Horwin band Lichtschein fest und klopfte an der Tür an. „Was?“, ertönte eine recht hohe Stimme aus dem Inneren des Hauses. „Ich bin’s, Horwin! Nun mach schon auf, Jaemac!“. Zögerlich wurde die Tür geöffnet, und ein kleiner, schmächtiger Mann, dessen Haare ob seines hohen Alters schlohweiß waren, trat heraus und führte sie nach innen. Dort schien das absolute Chaos zu herrschen, auf mehreren Tischen, Regalen und Kommoden stapelten sich Bücher, Proben aller möglichen Kräuter und vieles mehr. Horwin stellte Tavor kurz vor und bat Jaemac dann, sich um Tavors Wunde zu kümmern. Auf einer schnell von verschiedenen seltenen Steinen befreiten Liege ausgestreckt wurde Tavors Schnitt, der sich schon entzündet zu haben schien, behandelt. Jaemac trug eine zähe, dunkelgrüne, übelriechende Paste auf, die sofort kühlend wirkte. Daraufhin verband er ihn sorgfältig und gab ihm zum Schluss noch etwas zu trinken. „Nun bleib liegen!“, meinte er schließlich, höflich aber bestimmt im Tonfall. Schon fühlte Tavor, wie ihm die Glieder schwerer und schwerer wurden, als ihm eine Idee kam. „Jaemac, ihr kennt Euch doch so gut mit Städten, Ländern und ähnlichem aus. Könntet ihr mir ein paar Dinge erklären?“ „Klar kann ich das machen, aber erst morgen, so das Licht es will“, entgegnete Jaemac mit einem Lächeln auf den Lippen, „denn ihr werdet jeden Moment einschlafen“: Er lief durch den verschneiten Wald, scheinbar zielstrebig und schnell. Er konnte seine Geschwindigkeit nicht fühlen, denn er spürte den Luftzug, den man normalerweise beim Laufen bemerkte, nicht. Er fühlte auch sonst nichts, weder irgendwelche Emotionen, noch spürte er den Boden unter seinen Füßen oder ähnliches. Er schien einzig und allein auf seine optische Wahrnehmung beschränkt zu sein, alles andere schien nicht zu funktionieren. Er konnte auch die Bewegungen seines Körpers nicht kontrollieren, schien vielmehr im eigenen (?) Körper gefangen zu sein, ein Passagier auf einer Reise ins Ungewisse, auf dem Weg zu einem Kampf, wie es schien. Ein ständig gleich bleibendes Sirren, das ein wenig wie der Nachtwind klang, der durch eine kalte und dunkle Gasse pfiff, jedoch höher und irgendwie fremdartiger, war das einzige Geräusch. Die Lautlosigkeit der Bewegungen gepaart mit dieser monotonen Untermalung ließen alles verzerrt erscheinen, als liefe es mal eine Winzigkeit zu schnell, dann wieder etwas zu langsam ab. Endlich erreichte er eine Lichtung, wo ihn schon ein anderer Mann erwartete, das Schwert in der Hand. Fast synchron legten beide Männer ihre Mäntel ab und begannen sich lauernd zu umkreisen. Die ersten Hiebe, die geführt wurden, wirkten noch zaghaft, als wollten sich die Gegner zuerst einmal abtasten, um den jeweils anderen richtig einzuschätzen. Bald jedoch war der Kampf in vollem Gange, beide schienen sehr gute Schwertkämpfer zu sein, und nur selten konnte einer von ihnen die gegnerische Verteidigung durchdringen. Der Kampf zog sich in die Länge; es war seltsam, einem Kampf auf Leben und tot beizuwohnen, wenn man weder Gefühle noch Geräusche wahrnahm. Sein Gegner blutete mittlerweile aus mehreren Wunden, und er nahm an, dass sein eigener Körper nicht viel besser aussah. Ob der Erschöpfung der beiden würde der Kampf wohl bald ein Ende nehmen. Er ging ein paar Schritt zurück und blieb stehen, schien auf den anderen zu warten. Dieser kam schließlich auch angelaufen, das Schwert hoch über dem Kopf erhoben. In diesem Moment zuckte ein Blitz aus heiterem Himmel zu Boden, ein unendlich heller, verästelter Strang purer Energie und Zerstörungskraft. Er sah, wie der Blitz zielsicher in seinen Gegner einschlug und diesen mit einem Schlag zu einem Haufen glühender Asche verbrannte. Tavor erwachte, gebadet in seinem eigenen Schweiß. Sein Herz hämmerte wie wild und schien ihm beinahe aus der Brust zu springen. Er würde Jaemac von diesem Traum berichten. Kapitel III „Was ist mit diesen Geschehnissen im Süden, die Ihr vorhin angesprochen habt?“, wollte Tavor wissen. Seit Stunden saß er mit Jaemac an einem kleinen, runden Tisch, auf dem haufenweise Landkarten verteilt waren. Der alte Mann hatte ihm die ganze Zeit über die Welt aufgeklärt, hatte ihm die Namen aller Länder, ihre Lage, ihre Regenten und Bräuche und noch vieles mehr beigebracht, von Malkier und Shienar im Norden bis Tear und Mayene im Süden. Er schien im Laufe seines Lebens sehr weit herumgekommen zu sein, und er schien ein Mann zu sein, der sehr selten etwas vergaß. Tavor hatte ihm auch von seinem Traum erzählt, doch Jaemac hatte sich nur etwas Zeit erbeten, um darüber nachzudenken. Die Hoffnung, dass sich bei Jaemacs Ausführungen die eine oder andere Erinnerung einstellen würde, hatte sich nicht erfüllt. Zwar waren ihm einige Ländernamen vage bekannt vorgekommen, doch das konnte er sich ebenso bloß einbilden. Von anderen Namen dagegen war er sich absolut sicher, sie nie zuvor gehört zu haben. Almoth - wie konnte man ein Land Almoth nennen? Das klang einfach...behämmert! „In Illian“, Jaemac deutete auf eine der Karten, doch Tavor wusste inzwischen, wo sich dieses Land befand, “sorgt ein falscher Drache für Unruhen. Jedenfalls hoffe ich, dass es ein falscher Drache ist. Er hat schon ein Heer von Anhängern um sich versammelt, und er beabsichtigt wohl, letztendlich nach Tear zu ziehen und den Stein zu nehmen. Das gefällt natürlich den Adeligen und auch dem König von Illian gar nicht schlecht.“ Jaemac hatte ihm sowohl von der uralten Feindschaft zwischen Illian und Tear als auch von den Prophezeiungen des Drachen, soweit er davon wusste , berichtet. „So, das genügt für heute“, meinte der alte Mann, und stand schwerfällig von seinem Lehnstuhl auf. Er ging zu einem anderen Tisch und wies Tavor an, mitzukommen. „Horwin hat mir auch von deinem Brief erzählt“, sagte er mit nachdenklicher Miene. Der Jäger war aufgebrochen, während Tavor geschlafen hatte, hatte aber versprochen, am Abend wiederzukommen. Der Brief lag auf dem Tisch, daneben lagen ein leeres Blatt Papier, ein Federkiel und ein Tintenfass. „Zunächst würde ich dich bitten, den Brief einmal abzuschreiben.“ „Abschreiben? Wofür ...“ „Frag nicht so viel“, versetzte Jaemac mit einem verschmitzten Grinsen auf dem Lippen, „tu es einfach!“. Tavor setzte sich resignierend an den Tisch und begann, den Text Wort für Wort abzuschreiben. Es fiel ihm leichter als er erwartet hatte, auch wenn er einmal einen Tintenklecks fabrizierte, und bald hatte er die Kopie erstellt. Jaemac nahm wortlos beide Blätter und hielt sie nebeneinander ins Licht. „Selbst ein Blinder würde sehen, dass das nicht die gleiche Handschrift ist“, murmelte er. „Also hast du den Brief empfangen. Das bedeutet, dass du mit großer Wahrscheinlichkeit wirklich Tavor heißt.“ Tavor schaute ihn verwundert an. Horwin musste ihm alles erzählt haben. „Wenn ich die Schriften vergleiche, sieht man, dass deine doch eher krakelig ist, während die andere eleganter aussieht. Das könnte auf einen Lord, eine Lady oder sonst eine hochgestellte Person schließen lassen, die eine gute Ausbildung genossen hat.“ Jaemac legte den Brief wieder auf den Tisch, während er Tavors Kopie in den brennenden Kamin warf. „Kommen wir zum Inhalt des Briefes“, fuhr Jaemac fort, „ich habe ihn mir mal etwas genauer angesehen, als du geschlafen hast. Schau mal dir mal die linke untere Ecke etwas genauer an.“ Er gab Tavor ein Vergrößerungsglas. Dieser sah sofort, was der alte Mann gemeint hatte: der Brief war nicht perfekt gerade abgerissen, es war eine kleine Ecke erhalten geblieben, auf der Teile der nächsten Worte zu sehen waren. „Was steht da?“, fragte Tavor neugierig. „Nun, rein sinngemäß sollte dort der Name einer Stadt oder eines Ortes stehen, nicht wahr? Dies hier“, Jaemac deutete auf den fast komplett erhaltenen ersten Buchstaben der Zeile, „ist zweifellos ein großes F. Das nächste könnte ein a oder auch ein n sein, da bin ich mir nicht ganz sicher. Es folgt ein r, und dies hier“, er deutete auf zwei dicht beieinander liegende Zacken etwas weiter rechts, wo die Ecke schon kleiner wurde, „dürfte ein großes M sein. Danach kann ich nichts mehr erkennen.“ Fnr...Far M..., überlegte Tavor, dann kam ihm eine Idee. „Far Madding“, platzte er heraus, und Jaemac nickte. „Daran habe ich auch gedacht. Mir fällt auch kein anderer Ort, auf den diese Buchstaben passen.“ Far Madding...würde er dort Hinweise auf seine Vergangenheit finden? Könnte er dieses Rätsel lösen? Doch Kintara lag weit im Süden, und diese Welt war ihm noch immer fremd. Er würde eine solche Reise allein nicht bewältigen können, zumal er weder Geld noch ein Pferd besaß. „Zum restlichen Inhalt kann ich jetzt noch nichts sagen, da ich nicht weiß, wer ‚er’ ist“, fuhr Jaemac nach einer kurzen Pause fort. „Du wirst jetzt nach Far Madding reisen wollen, um deine Vergangenheit zu erforschen“. Er lächelte wissend. Bin ich so leicht zu durchschauen?, fragte sich Tavor, bevor er antwortete. „Ja, aber ich weiß dass es nur ein Strohhalm ist, an den ich mich klammere und...“ „Ich werde dich begleiten.“, unterbrach ihn Jaemac, „es wird Zeit, dass ich einmal wieder aus diesem Kaff herauskomme.“ Tavor konnte es nicht fassen. Sekundenlang stand er da und starrte den alten Mann ihm gegenüber verdutzt an, bevor er sich dazu bewegen konnte, ihm zu danken. Den ganzen restlichen Tag verbrachten sie mit Reisevorbereitungen, Nahrungsmittel mussten genauso mitgenommen werden wie Landkarten, Kleidung und vieles mehr. Horwin kam und half ihnen, wollte aber nicht mitkommen. „Mein Platz ist hier“, meinte er, „ich bin noch nie aus dieser Gegend herausgekommen, wäre euch also kaum eine Hilfe.“ In der Nacht fand Tavor kaum Schlaf, zu viele Gedanken wirbelten in seinem Kopf umher. Zum einen empfand er eine tiefe Dankbarkeit gegenüber Jaemac, aber auch Trauer, Horwin verlassen zu müssen, und, alles andere übertreffend, Unsicherheit. Was wenn es doch nicht Far Madding war, was der Autor des Briefes geschrieben hatte? Nach was würde er in dieser Stadt suchen müssen? Wenn er wirklich seine Vergangenheit fand, würde sie ihm gefallen? Jaemac weckte ihn bei Sonnenaufgang. Nachdem er sie sich noch einmal von Horwin verabschiedet hatten, holten sie dessen zwei Pferde aus dem Stall und ritten recht bald los, Richtung Süden, in die Ferne, in die Ungewissheit. Kapitel IV Ein Schlag ging durch das ganze Schiff, ein dumpfer, nichtsdestotrotz aber harter Aufprall von Holz auf Holz. Mercella, die sich an das andauernde Schaukeln und Schlingern schon gewöhnt hatte, musste einen Moment um ihr Gleichgewicht kämpfen. Aha, wir haben angelegt, dachte sie, Loris ist ja wirklich ein toller Kapitän. Sie verließ ihre Kabine, in der nicht einmal sie aufrecht stehen konnte, und ging an Deck, wo sie sogleich der Geruch von Fisch und fauligem Holz empfing. Mercella rümpfte die Nase, blieb aber in der vorderen Hälfte des Bootes, denn hinten stank es nach Pferdemist. Die Matrosen verbeugten sich wie immer vor ihr, und ein oder zwei murmelten „Aes Sedai“, doch sie beachtete sie nicht. Die Möwe hatte tatsächlich angelegt, Aringill breitete sich zu ihrer Rechten aus, auf der anderen Seite des Flusses war das deutlich kleinere Maerone zu sehen. Yason, ihr Behüter, war schon dabei, ihre Pferde aus dem sehr provisorisch angelegten Stall am Heck des Schiffes zu holen, um keine Zeit zu verlieren. Er war ein guter Mann, keine Frage, aber Geduld schien ihm ein Fremdwort zu sein. Als die Matrosen das Schiff vertäut hatten, kam Loris zu ihr, vorgeblich um sich zu verabschieden, in Wirklichkeit aber wollte er die Bezahlung für die Schiffspassage kassieren. Er war ein alter Bär, groß, breit und dick, mit einem wettergegerbten Gesicht, hatte wenig Haare auf dem Kopf, dafür umso mehr im Gesicht. Sein typisch illianischer Bart ließ nur die Oberlippe frei. Mercella hatte ihn zu den Ereignissen in seinem Heimatland befragt, doch außer zahlreichen Verwünschungen gegen Tear hatte er nicht viel zu sagen gehabt, er war schon seit Jahren nicht mehr in Illian gewesen und wusste folglich weniger über die dortige Situation als sie. Als sie ihn schließlich ausgezahlt hatte - zwei Goldstücke, ein verdammt hoher Preis für eine Fahrt von Tar Valon nach Aringill - machte sie sich zusammen mit Yason auf den Weg in die Stadt. Der Hafen war sehr belebt, um nicht zu sagen überfüllt, doch hatte man das Geplärre der Händler, das Gefluche der Matrosen und den Gestank nach Fisch erst einmal hinter sich gelassen, war Aringill nicht sonderlich spektakulär. Von einer Stadtmauer umgeben, die aussah, wie eine gewöhnliche Stadtmauer nun einmal aussah, waren überall mehrgeschossige Steinhäuser zu sehen. Die Stadt verfügte weder über ein besonderes Wahrzeichen noch über ein besonderes Flair. Sie verließen Aringill durch das Westtor, auf der Straße, die nach Caemlyn führte, von der aber nach nicht allzu langer Zeit eine nach Süden führende Straße abzweigen sollte. Diese würde sie zu ihrem Ziel bringen, nach Far Madding. Mercella fragte sich, ob sie dort, wie sie es erhoffte, General Tavor treffen würde. Schon fast reflexartig zog sie den mittlerweile ziemlich zerfledderten Brief, den sie kurz vor ihrer Abreise aus Tar Valon von einem Kurier erhalten hatte, aus einer Tasche und las ihn noch einmal durch. Mercella Aes Sedai meine Informanten haben mir berichtet, dass Er plötzlich und unerwartet nach Norden gereist ist, scheinbar nach Hardan. Da Er nur eine kleine Leibgarde mit sich führt, habe ich mit einem Teil meiner Männer die Verfolgung aufgenommen. Vielleicht kann ich unser Problem ein für alle Mal beseitigen. Tavor Hatte er ihre Nachricht schon erhalten gehabt, als er diesen Brief geschrieben hatte? Diese einfache Frage war von entscheidender Bedeutung. In diesem Fall hätte ihre Warnung ihn möglicherweise aufgehalten, und sie hätte diese ganze Reise nicht vergebens gemacht. Doch sie kannte Tavor schon seit vielen Jahren, und wenn es ein Wort gab, das voll und ganz auf ihn zutraf, dann war das stur. Wenn er sich im Vorteil glaubte, zog er sein Ding durch, egal wie groß der Widerstand wäre. Beim Licht, was immer er tut, lass ihn heil zurückkommen. Mercella hatte sich trotz dieser Nachricht entschlossen, nach Far Madding zu reisen. Möglicherweise gab Tavor sein irrsinniges Vorhaben ja doch auf, und wenn nicht , konnte er ja, falls er es überleben sollte, später noch kommen. Sie hatte sich entschlossen, einige Zeit in Far Madding zu bleiben, falls er auf sich warten lassen würde. Dieser Narr!, dachte sie, er erreicht überhaupt nichts, wenn er Favrian jetzt umbringt. Diese illianischen Adeligen sind so erpicht auf diesen Krieg, Favrian war ihr Werkzeug, um die nötige Armee aufzustellen, sonst nichts! Favrian hatte sich fast nie in der Öffentlichkeit gezeigt, sogar sein Name war nur wenigen bekannt. Nattos, der illianische König, könnte dem Volk irgendeine Marionette präsentieren, und die Leute würden ihm in den Krieg folgen. Serenias Anweisungen waren klar gewesen, ein Krieg war unbedingt zu verhindern. Nicht Serenia, verbesserte sie sich in Gedanken, die Amyrlin! Es war schwierig, sich ihre Freundin aus Novizinnenzeiten, als sie noch gemeinsam Töpfe geschrubbt hatten, als neue Amyrlin vorzustellen, doch das war sie seit dem plötzlichen Tod von Comarra nun einmal. Es war kein Wunder gewesen, dass Mercella mit dieser Aufgabe betraut worden war. Zum einen war sie, wie auch Serenia Mitglied der grauen Ajah, zum anderen spielte gegenseitiges Vertrauen bei der Vergabe wichtiger Aufgaben immer eine große Rolle. Außerhalb der Stadt erhoben sich die ersten Hügel, und es begann langsam zu regnen. Es würde noch eine lange Reise werden. NEU!!! Kapitel V Er stieg die hölzernen Stufen hinauf, ohne Eile, aber auch nicht besonders langsam. Die Treppe war steil und knarzte bedrohlich, doch er war sie schon hunderte Male hinaufgestiegen, und sie hatte immer gehalten. Oben angelangt öffnete er die grün angestrichene, massive Holztür und befand sich im Zimmer seines Vaters. Dieser stand schon da, als hätte er ihn erwartet – na gut, das hatte er wohl auch – doch er sprach kein Wort zu ihm. Sein Vater war ein großer Mann, kräftig, mit einem breiten und freundlichen Gesicht, in dem ein bereits ergrauender, ordentlich gestutzter Bart seine stahlblauen Augen noch betonte. Viele kleine Fältchen um die Augen zeigten, dass er gerne und oft lachte, doch nun sah er ernst aus, todernst. „Komm her, mein Sohn“, sagte er mit scheinbar nur mühsam beherrschter Stimme, „wir haben etwas zu bereden! Du –“ Ein Blitz schien direkt vor ihm zu Boden zu zucken, alles was er sah war gleißende Helligkeit, und als er wieder etwas erkennen konnte, hatte sich das Bild geändert... Er war in einem Wald, wenn man diese spärliche Ansammlung von Baumskeletten, deren Abstand zueinander manchmal mehrere Spannen betrug, so nennen konnte. Der Boden war schneebedeckt, doch sein solider Mantel schützte ihn vor der Kälte. Er fiel in einen Trab, dann fing er an, zu laufen, zielstrebig und bestimmt in immer die gleiche Richtung. Er hatte diesen Traum schon einmal gehabt, erinnerte er sich, doch dieses Mal gab es Geräusche, Gefühle. Nach einer Weile zeichnete sich weiter vorne eine weite, baumfreie Stelle ab, wo ein Mann, das Schwert gezogen und mit finsterem Blick, schon auf ihn zu warten schien. „Ich wusste dass du kommen würdest“, sagte sein Gegenüber, und öffnete den Mund, um weiterzusprechen – Ein Blitz schien direkt vor ihm zu Boden zu zucken, alles was er sah war gleißende Helligkeit, und als er wieder etwas erkennen konnte, hatte sich das Bild geändert... Er saß auf einem Pferd, spürte die leichte Bewegung des Pferdekörpers, die ihm verriet, dass das Tier nervös war und, wenn man es ließ, scheuen würde. Er befand sich auf einem Hügel, und war von mehreren Männern in feinen Mänteln mit haufenweise Stickereien umgeben. Unten im Tal tobte eine Schlacht, doch das Ende schien nahe zu sein. Eine mächtige Feuersbrunst schien die gegnerische Seite heimgesucht zu haben, die feindlichen Soldaten waren zwischen dem tobenden Feuer und seiner Armee gefangen. Seiner Armee, irgendwie war er sich dessen absolut sicher. Er verlangte ein Fernglas von dem Adeligen neben ihm, einem kleinen, dunkelhaarigen Mann mit einem seltsamen Bart, der die Oberlippe freiließ. In diesem Moment kam ein Diener, möglicherweise ein Bote, in einem Höllentempo den Hügel hinauf geritten. Er verhielt seinen Braunen dicht vor der Menschengruppe auf dem Hügel, sprang ab und holte tief Luft – Ein Blitz schien direkt vor ihm zu Boden zu zucken, alles was er sah war gleißende Helligkeit, und als er wieder etwas erkennen konnte, hatte sich das Bild geändert... Eine Frau stand nur wenige Spannen von ihm entfernt auf der dunklen nächtlichen Straße, doch sie konnte ihn nicht sehen, denn er stand im Schatten eines der hohen Häuser, und war komplett in schwarz gekleidet. Sie war wunderschön, ihr fast hüftlanges Haar war wie gesponnenes Gold, ihre tiefblauen Augen waren Tümpel, ach was, Ozeane, in denen man sich verlieren konnte. Sie wirkte zerbrechlich, einsam in dieser nun auf einmal bedrohlich wirkenden Umgebung. Er wollte zu ihr gehen, sie beschützen, denn irgendwie wusste er, dass er sie kannte, doch er wusste genau so sicher, dass er nicht zu ihr gehen durfte. Mit einem bedauernden Seufzer wandte er sich ab und verschwand im Gewirr der Gassen, immer darauf bedacht, ungesehen zu bleiben. „Aufwachen, verdammt noch mal! Wenn du den ganzen Tag verschläfst, kommen wir nie nach Far Madding!“. Tavor drehte sich schwerfällig um, um in Jaemacs grinsendes Gesicht zu blicken. „Ein junger Mann wie du sollte doch wohl weniger Schlaf brauchen wie ein greiser alter Mann“, meinte dieser schelmisch. „Jaja, ich komme sofort!“, grummelte Tavor, während er versuchte, den Haufen Klamotten, den er neben den Bett auf den Boden gelegt hatte, zu entwirren. Jaemac hatte recht, sie mussten weiterreisen. Sonnenschein fiel durch ein großes Fenster in ihr Zimmer, und draußen war die Straße schon recht belebt – nach hiesigen Verhältnissen. Nicht viel hatte sich geändert, als sie von Hardan immer weiter südlich gezogen waren. Der Schnee war langsam in Regen übergegangen, und die Temperaturen dementsprechend leicht nach oben, aber sonst war es hier – im Westen Cairhiens – nicht viel anders als weiter im Norden. Die kleinen Dörfer, durch die sie im Laufe ihrer bisherigen Reise gekommen waren, glichen sich wie ein Ei dem anderen, immer waren sie nur entlang der Hauptstraße angelegt, besaßen in ihrem Zentrum eine Schenke sowie einige Läden. Sie hatten, sofern sie abends in ein Dorf gekommen waren, meist in den Schenken genächtigt – Jaemac schien doch einen ganzen Haufen Geld zu besitzen – doch bis zu dieser Nacht hatte Tavor keine solch seltsamen Träume mehr gehabt. Es waren Erinnerungen, da war er sich sicher, doch immer kam dieser Blitz, bevor etwas konkretes daraus werden konnte. Er ging hinunter in die Stube des Gasthauses, wo Jaemac bereits an einem Tisch saß und sein Frühstück einnahm. Tavor setzte sich zu ihm, doch sein Essen wollte ihm nicht schmecken, zu aufgewühlt war er noch wegen seinem seltsamen Traum. Er konnte das nicht für sich behalten, vielleicht würde der alte Mann etwas daraus machen können, so weise und erfahren wie er war. Nachdem ihm Tavor seine Träume geschildert hatte, blickte Jaemac nachdenklich und besorgt drein, öffnete kurz den Mund, als wollte er etwas sagen, tat es dann aber nicht. Tavor fühlte Wut in sich aufsteigen. „Du weißt etwas, das sehe ich dir an! Warum willst du es mir nicht sagen?“. Jaemac seufzte. „Na gut, dann sei es so. Ich hatte schon länger eine Idee, nur eine vage Möglichkeit, wer du sein könntest, aber die Geschichte mit der Armee passt dazu.“ Tavor schaute ihn erwartungsvoll an, als er fortfuhr. „Es gibt eine Person namens Tavor, die mir bekannt ist – von der ich gehört habe sollte ich wohl besser sagen. Tavor der Schakal, oder Tavor, der Schoßhund der Amyrlin, je nachdem wen man fragt. Er ist militärischer Oberbefehlshaber von Almoth, und steht, seit Almoth sich bemüht, möglichst enge Kontakte zur Burg zu haben, unter dem Befehl der Amyrlin. Zwar seht ihr noch etwas jung für einen General aus, aber wenn ihr von adeligem Blut seid, ist es schon möglich.“ Almoth. Naja, es war möglich, aus einem Land zu stammen und dessen Namen trotzdem blöd zu finden. Und wie er aussah? Jaemac hatte ihm gesagt, dass er ihn auf etwa dreißig Jahre schätzte, obwohl das nicht ganz einfach zu sagen war. Der alte Mann sah ihn an, scheinbar erwartungsfroh, und Tavor ließ sich das soeben gesagte noch einmal durch den Kopf gehen. Er als Befehlshaber eines Heeres? Das konnte er sich nicht vorstellen. Aber natürlich war es eine Möglichkeit, die einzige die er bis jetzt hatte. Vielleicht würde sich in Far Madding ja die Lösung finden. Er würde bis dorthin noch genügend Zeit haben, über diese Möglichkeit nachzudenken. Mercella verhielt ihr Pferd, als sie von einer Hügelkuppe aus die Silhouette der nahen Großstadt erblickte. Sie öffnete sich Saidar und zog soviel der Macht heran, wie sie gefahrlos halten konnte. Ein letztes Mal will ich mich lebendig fühlen, bevor ich diese schreckliche Stadt betrete. Vor ihr lag Far Madding, majestätisch thronte es auf einer Insel mitten im See, alt, erhaben, und feindlich. Sie würde die Macht dort drinnen nicht lenken können, würde sich von der Quelle abgeschnitten fühlen, hilflos, leblos. Yason schien zu fühlen, was sie dachte, denn er zog sein Schwert und vollführte ein paar Hiebe gegen imaginäre Gegner. Na gut, nicht ganz hilflos. Trotzdem jagte ihr der Anblick der Stadt einen kalten Schauer über den Rücken. Vor ihr lag die Heimatstadt von Roalin Dunkelbann, Yurian Steinbogen – und Favrian. Wahrscheinlich hatte die Stadt seine Fähigkeit so lange unterdrücken können, dass er erst in verhältnismäßig hohem Alter – er musste damals etwa fünfundzwanzig gewesen sein – ausgezogen war, um die Welt in ein Chaos von Blut und Schwertern zu stürzen. Er hatte sich die Unterstützung des illianischen Königs nicht erbettelt, er hatte sie erkämpft. Anfangs waren nur wenige, relativ machtlose Adelige an seiner Seite gestanden, doch er hatte die Truppen des Königs vernichtend geschlagen, und dieser war auf seine Seite umgeschwenkt. Doch mittlerweile schien eher Nattos das Sagen zu haben, Favrian schien den Ränkespielen der Mächtigen wohl doch nicht gewachsen gewesen zu sein. Der König war der heimliche Gewinner dieses Konflikts gewesen, waren doch die ganzen vorher zerstrittenen Lords und Ladys, und nicht zu vergessen da Volk, jetzt alle uneingeschränkt auf seiner Seite – oder auf der Favrians, was dasselbe war. Mercella hoffte, dass Tavor genügend Hirn besaß, von seinem wahnsinnigen Plan Abstand zu nehmen. Und wenn du ihn umbringst, bring seine Leiche. Oder noch besser, fange ihn lebend. Nur wenn man dem Volk und dem Adel Illians beweisen konnte, dass ihr Drache entmachtet war, war der Krieg noch zu verhindern. Sie packte die Zügel wieder fester und stieß ihrem Braunen die Fersen in die Flanken, lenkte ihn auf die Stadt zu. Sie würde warten. Ja, sie würde warten, auf was immer auch kommen mochte. Kapitel VI Die Straße schlängelte sich scheinbar endlos durch eine nur spärlich bewachsene Hügellandschaft, deren monotones grün und braun hin und wieder durch verstreute Nebelfetzen aufgelockert wurde. Der Regen hatte vor ein paar Stunden aufgehört, doch er würde wiederkommen. Seine seltsamen Träume waren nicht wiedergekehrt, doch auch so machte sich Tavor andauernd Gedanken über ihre Bedeutung. Diese Idee, die Jaemac gehabt hatte, mit dem General aus Almoth, das gab für ihn, je öfter er die Möglichkeit durchdachte, mehr und mehr Sinn. Dieser geheimnisvolle „Er“ in seinem Brief wäre demnach wohl dieser falsche Drache. Aber gegen wen hatte er gekämpft, bevor er seinen Gedächtnisverlust erlitten hatte? Irgendwelche Anhänger des Drachen? Und hatte er nun gewonnen oder verloren? Jaemac riss ihn aus seinen Gedanken. „Wir sind da!“. Die Straße hatte einen weiteren Hügel erklommen, und vor ihnen lag ein großer, im fahlen Licht leicht silbrig schimmernder See, in dessen Mitte eine große Stadt auf einer Insel thronte. Far Madding. Er hatte sie sich großartig vorgestellt, doch was er sah, übertraf alle seine Erwartungen. Ein gigantisches Wesen aus hellem Marmor und verputztem Stein schien auf der Insel zu kauern, ein schlafendes Tier, umgeben von einem Käfig aus Wasser. Etwas in ihm erstarb, als sie sich der Stadt näherten. Der Ritt über die Brücke dauerte scheinbar endlos lange, und als sie endlich auf der Insel angekommen waren und die Stadt durch das Caemlyn-Tor, wie es Jaemac genannt hatte, betreten hatten, war Tavor doch sehr verwundert. Seltsamerweise erschien ihm Far Madding überhaupt nicht fremdartig, im Gegenteil. Die weiten, von mehrstöckigen Steinhäusern flankierten Straßen und das Gewirr unzähliger kleiner Gassen zwischen den Häusern, er...er kannte das. Er musste früher schon einmal hier gewesen sein, anders konnte er sich diese Gefühle nicht erklären. Das war wieder ein Indiz, das für Jaemacs Theorie sprach. Ein berühmter General kam sicherlich viel herum, warum nicht auch einmal nach far Madding? Auf jeden fall weiter als irgendein beliebiger Hardani. Die Straßen, vom Regen der letzten Tage noch morastig, waren sehr belebt, hier standen Händler an ihren Geschäften und priesen lautstark ihre Waren an, dort wurde ein Adeliger in einer reich verzierten Kutsche vorbeigefahren. Die meisten Menschen waren zu Fuß unterwegs und waren bieder bis ärmlich gekleidet, nicht wenige trugen allerdings einen Dolch oder ein Schwert am Gürtel. An jeder Ecke standen Soldaten der Stadtwache, die dafür sorgten, dass es keine Zwischenfälle gab. Tavor fragte sich, nach was sie jetzt suchen sollten. Sie waren hierher gekommen, in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, das seine Erinnerungen zurückbringen würde. Während der Reise hatte er sich oft gefragt, nach was sie suchen sollten, war aber zu keiner Lösung gekommen. Der Verfasser des Briefes würde viele der Fragen, die sich Tavor nach wie vor stellten, beantworten können, doch wo konnte man ihn finden? Wie? Wer war er? „Du! DUUU!“. Ein Stück vor ihnen war ein Mann mittleren Alters, der einen schäbigen braunen Mantel trug, stehen geblieben, und schaute mit wutverzerrtem Gesicht zu ihnen herüber. Er zog einen Dolch und stürmte auf sie zu. Jedenfalls versuchte er das, doch der Menschenstrom floss zu träge, so dass er nur langsam vorankam. „Ich werde die Welt ein für alle Mal von dir befreien!“. Der Mann hatte etwa die Hälfte der Distanz zurückgelegt, als eine dreiköpfige Patrouille Stadtwachen sich seiner annahmen. „Schnell weg, bevor auch wir noch Ärger bekommen“, zischte Jaemac ihm ins Ohr. Er zog Tavor in eine der unzähligen kleinen Gassen, die seitlich von der großen Straße abzweigten. Etwa zehn Minuten und drei Sackgassen später hatten sie eine Gasse gefunden, die wieder auf die Hauptstraße führte, so dass sie dort ihren Weg fortsetzen konnten. Schon bald erweiterte sich die Straße zu einem großen Platz, der von Händlern und ihren verschiedensten Waren gefüllt war. Der Avharin-Markt. Tavor wusste nicht, ob Jaemac ihm von diesem Platz erzählt hatte oder der Name seinen eigenen wiederkehrenden Erinnerungen entsprang. Eine seltsam zeitlos wirkende, dunkelhaarige Frau, die in Begleitung eines gefährlich wirkenden Mannes unterwegs war, blieb stehen und schien ihn anzustarren. Doch schon einen Augenblick später hatte sie wieder sämtliches Interesse an ihm verloren und ging weiter. Offensichtlich hatte sie ihn für jemand anderen gehalten, kein Grund, sich Gedanken zu machen. „Am besten suchen wir uns erst einmal eine Bleibe für die Nacht, es ist schon spät“, meinte Jaemac. „Wir können morgen mit der Suche beginnen, wenn wir in Ruhe überlegt haben, wonach wir überhaupt suchen sollen.“ Jaemac war scheinbar schon einmal in Far Madding gewesen, denn er führte Tavor zielstrebig durch die Stadt, offenbar zu einem Gasthaus, das er kannte. Mercella zitterte vor Aufregung, als sie vergeblich versuchte, sich schneller durch das allgemeine Gedränge zu bewegen. Sie war eine Aes Sedai, und Aes Sedai waren nicht nervös, und wenn sie es waren, dann ließen sie es sich keinesfalls anmerken, doch Mercella konnte einfach nicht fassen, welche Chance sich ihr eben offenbart hatte. Er hier! Das war doch nicht möglich! Sie hatte nun schon eine Woche lang in Far Madding gewartet, war jeden Tag mehrere Stunden in jenem Wirtshaus gesessen, das General Tavor und sie immer als Treffpunkt verwendet hatten, doch er war nicht gekommen. Doch der heutige Tag hatte alles geändert, wirklich alles. Sie spürte Ungeduld durch den Bund, Yason schien schon auf sie zu warten. Sie versuchte wieder, schneller auszuschreiten, doch war unmöglich, schneller voran zu kommen. Kapitel VII Yason stand vor einem Gasthaus und wartete. Er hasste es, warten zu müssen, doch Mercella hatte es ihm so befohlen, und die Loyalität gegenüber seiner Aes Sedai war natürlich wichtiger als irgendwelche seiner persönlichen Gefühle. Er hatte die beiden Fremden, die Mercella kurzzeitig so aus der Fassung gebracht hatten, bis hierher verfolgt und beobachtet, wie die beiden auf ihr Zimmer gegangen waren. Er wusste nicht, was Mercella vorhatte, doch er würde es bald erfahren. Durch den Bund fühlte er, dass sie sich von Norden her näherte. Tavor streckte sich auf dem Bett aus und bemerkte erst jetzt, wie müde ihn die lange Reise eigentlich gemacht hatte. Jaemac hatte sie zielstrebig zu einem Gasthaus geführt, dessen Wirtin, eine ältere Frau in Fassform, die einen durchaus freundlichen Eindruck gemacht hatte, er noch von früheren Reisen gekannt hatte. Sie hatten ohne irgendwelche Schwierigkeiten ein Zimmer bekommen, und eine warme Mahlzeit noch dazu. Doch jetzt, als sie wieder alleine waren, kamen die Zweifel zurück. Wer war der Mann mit dem Dolch gewesen? Hatte er Tavor wirklich erkannt, oder hatte er ihn verwechselt? Oder hatte er gar jemand anderes gemeint? Während er noch über all das nachdachte, hörte er, wie Jaemac im Bett nebenan schon zu schnarchen begonnen hatte. Auch Tavor spürte die Müdigkeit in sich aufsteigen, und langsam übermannte auch ihn der Schlaf... Mercella führte ihre kleine Privatarmee durch die Straßen von Far Madding. Mit Hilfe des Behüterbundes war es ein leichtes, Yason zu finden, und damit auch die beiden, die er verfolgt hatte. Es war nicht weiter schwer gewesen, den Kommandanten der Stadtwache dazu zu bringen, ihr zehn seiner Männer zur Verfügung zu stellen. Man lehnte Anfragen einer Aes Sedai nicht einfach ab, vor allem nicht, wenn sie auf Befehl der Amyrlin handelte. Sie betrachtete für einen Augenblick die Soldaten, die ihr zugeteilt worden waren. Sie blickten starr geradeaus und schienen sich nicht dafür zu interessieren, wofür sie vom Hauptquartier abkommandiert worden waren. Sie würden jeden ihrer Befehle befolgen, das war ihr garantiert worden. Es darf nichts schief gehen! Eine solche Chance würde nicht wiederkommen, sie hatte alle Trümpfe in der Hand. Sie bogen um eine Ecke und sahen ein Gasthaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, vor dem Yason schon wartete. Das Gefühl, das sie durch den Bund spürte, wandelte sich von Ungeduld in Erleichterung...und Verwirrung. Sie würde ihm später noch erklären müssen, was es mit dieser ganzen Aktion auf sich hatte. Doch nicht jetzt, die Zeit drängte. Nicht jetzt. Tavor erwachte. Er konnte sein Gefühl nicht beschreiben, doch etwas in ihm wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Um ihn herum war es absolut finster, die Nacht war wolkig, so dass kein durch das Fenster schimmernder Mondschein das Zimmer erhellen konnte. Er hörte Jaemacs regelmäßige Atemzüge von der anderen Seite des Raumes. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er drehte sich um und sah aus den Augenwinkeln eine Bewegung, etwas, das rasend schnell auf ihn zuschoss. Etwas traf ihn am Kopf, und er sackte auf sein Bett zurück, als hätte er nicht einen Muskel im Körper. In diesem Moment bekam die Wolkendecke über Far Madding einen Riss, und sanftes Mondlicht erhellte den Raum, wandelte das Schwarz in eine Vielzahl verschiedener Grautöne um. Im Zimmer stand ein Mann, der gerade dabei war, Tavor hochzuheben. Yason eilte die Treppen des Gasthauses hinunter. Er hatte seinen Auftrag erledigt, und es hatte keinerlei Probleme gegeben, wie sie Mercella befürchtet hatte. Der alte Mann war nicht einmal aufgewacht! Das Gewicht des Körpers, den er sich über seine rechte Schulter gelegt hatte, behinderte ihn kaum beim Laufen. Mercella würde zufrieden sein. Gailuc versteckte sich in einer dunklen Seitengasse, als er eine Gruppe berittener Stadtwachen herannahen sah. Die Nacht, oder besser gesagt die Dunkelheit, war auch heute sein Verbündeter. Er wunderte sich einmal mehr, warum so viele Leute nach der Abenddämmerung noch ihre Häuser verließen, doch ihm war das nur recht, solange sie etwas Geld mit sich führten. Normalerweise waren die Stadtwachen in Gruppen von zwei bis vier Mann unterwegs, und zu Fuß. Was sich nun näherte waren jedoch etwa zehn von dieser Sorte, noch dazu beritten. Da musste etwas besonderes am Laufen sein, die waren bestimmt nicht auf der Jagd nach irgendwelchen Beutelschneidern oder Taschendieben. Als die Gruppe an seinem Versteck vorbeiritt, konnte er deutlich erkennen, dass die Stadtwachen von einer Frau geführt zu werden schienen, so seltsam das auch war. Sie hatte ihre Kapuze tief ins Gesicht gezogen, so dass er ihr Alter nicht schätzen konnte, doch anhand der Kleidung konnte man sehen, dass sie ohne Zweifel wohlhabend war. Wenn da nicht die Stadtwachen gewesen wären...Außerdem war da noch ein Mann, der nicht von ihrer Seite zu weichen schien – ein Leibwächter wahrscheinlich. Ein weiterer Reiter war auf eine komisch anmutende Weise in seinem Sattel zusammengesunken...oder nein, er war im Sattel festgebunden! Als die Gruppe vorbeigezogen war, in Richtung Norden, dem Caemlyn-Tor entgegen, grübelte Gailuc noch eine zeitlang darüber nach was er gesehen hatte. Dann schüttelte er den Kopf. Sollten die Wachen doch machen was sie wollten, solange sie ihn nicht erwischten. Und so zog er weiter, in der Hoffnung, noch ein paar Silbermünzen zu erbeuten. Kapitel VIII Tavor öffnete verwirrt die Augen und versuchte, sich umzusehen. Es blieb bei einem Versuch. Er hatte fürchterliche Kopfschmerzen, fühlte sich seltsam benommen, als ob er einen Rausch hätte. Alles schien sich um ihn zu drehen, und er konnte nur Schemen in der Dunkelheit erkennen, die wieder und wieder ineinanderzufließen schienen. Auch das Denken fiel ihm schwer, er begriff erst nach einigen Augenblicken, was geschehen sein musste: er war gefangengenommen worden, von wem auch immer. Er saß, das bemerkte er jetzt, auf leicht feuchtem, grasbewachsenen Boden, und seine Handgelenke waren um etwas herum gefesselt. Eine Säule? Nein, das war ein Baum!Er war also nicht mehr in der Stadt...wie hieß sie gleich noch mal?...ach ja, Far Madding. Er versuchte aufzustehen, doch die Fesseln hinderten ihn daran. Mercella lag auf ihrem provisorischen Lager im inneren eines einfachen Zeltes, doch wie die Nächte zuvor fand sie keinen Schlaf. Sooft sie sich auch einredete, dass alles nach Plan verlief, half es doch nichts gegen die Nervosität, die ihr seit der Gefangennahme von Favrian innewohnte. Sie hatte einen Boten nach Tar Valon vorausgeschickt, und gestern war ihr eine Nachricht per Brieftaube zugekommen, dass eine Eskorte von zwei Dutzend Schwestern und etwa tausend Soldaten ihnen entgegenkam. Noch zwei oder drei Tage, dann sollten sie zusammentreffen, und ihre Ängste würden endlich zur Ruhe kommen. Sie hatte alles in ihrer Macht stehende getan, um ihn vom Gebrauch seines Talents, sofern er dazu überhaupt fähig war, abzuhalten. Sie hatte ihn mit Kräutern, die sie einem alten Marktweib in Far Madding abgekauft hatte, betäubt, so dass er keinen Ärger machen konnte, und zudem waren drei der zehn Stadtwachen jederzeit bei ihm, um beim kleinsten Anzeichen, dass er etwas unternehmen würde, ihn mit einem Schlag mit der Breitseite des Schwertes zu betäuben. Alles wird klappen, der Krieg ist so gut wie verhindert!Jetzt mach dich nicht unnötig nervös, verdammt nochmal! Sie drehte sich zum wiederholten Male um und zog die Decke zurecht; selbst hier im Zelt war es bitter kalt. Als Tavor zum nächsten Mal die Augen öffnete, hing ein seltsamer roter Ball am Horizont und blendete ihn. Die Sonne! Er sah sich vorsichtig um. Um ihn herum hatten seine Entführer ein kleines Lager, bestehend aus vier Zelten und einer Feuerstelle, aufgebaut. Zu seiner Rechten befand sich in nicht allzu großer Entfernung eine Straße, die sich durch den Wald schlängelte. Das Lager war auf einer Lichtung errichtet worden. Erst jetzt bemerkte er die drei Wachen, die nur wenige Schritt zu seiner linken saßen und gegen den Schlaf ankämpften. Sie schienen noch nicht bemerkt zu haben, dass er wach war. In diesem Moment stand einer von ihnen, ein junger, muskulös gebauter Soldat, der wirkte, als wäre er mit Rüstung und Helm auf die Welt gekommen, auf und streckte sich. „Es wird Zeit, dass diese Eskorte endlich kommt und sich um unseren werten Favrian kümmert, sonst schlaf ich noch auf dem Pferd ein, fall runter und brech mir das Genick!“ Die anderen beiden Wachen lachten, doch Tavor bemerkte das gar nicht. Favrian...dieser Name! Es war, als hätte sich in seinem Kopf eine Tür geöffnet, von deren Existenz er vorher gar nicht gewusst hatte. Erinnerungen stürmten mit einer solchen Vehemenz auf ihn ein, dass er leise stöhnte. Bilder erschienen vor seinem inneren Auge, so schnell hintereinander, dass er Kopfschmerzen bekam. “Du musst uns verlassen“, sagte sein Vater, sichtbar um Fassung ringend. „Du musst die Stadt verlassen, hier bist du nicht mehr sicher. Zieh dich zurück, mein Sohn, lauf davon, aber lebe! Leb wohl, Favrian!“ „Ich wusste, dass du kommen würdest, falscher Drache!“ Sein Gegenüber spie die Worte voller Verachtung aus. „Bringen wir es hinter uns, ein für allemal“, sprach er mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen, als er sein Schwert hob. „Herr...ich meine...Lord Drache!“, stotterte der Junge, „wir...wir gewinnen! Ich...die Schlacht war schon so gut wie verloren, dann brach plötzlich dieses Feuer aus!“ Plötzlich weiteten sich die Augen des Boten. „Wart..wart ihr das, Herr? Wie?...Ich meine...Ihr habt das gemacht, oder?“ Er hielt sie in seinen Armen, wie er es so oft getan hatte, doch diesesmal fühlte sie sich anders an. Kälter. Tränen flossen ungehindert seine Wangen hinab, als er so dasaß und an die glückliche Zeit zurückdachte, die sie miteinander verbracht hatten. „Zieh dich zurück“, hatte sein Vater gesagt, „denn du wirst allen nur Unglück und Verderben bringen.“ Wie recht er doch gehabt hatte... Weitere Erinnerungen schienen ihn zubombardieren, zwei Mäntel, die auf gefrorenem Boden lagen, Szenen aus seiner Kindheit, Schlachten, mehr und mehr. Und zwischen all diesen Erinnerungsfetzen formierte sich langsam die Erkenntnis... „NEIIIIIIIIN!!!“. Die Wachen sprangen auf und zogen ihre Schwerter, doch er achtete nicht auf sie. Alles schien um ihn zu rotieren, Wahrnehmung, Erinnerungen, alles vermischte sich und bildete einen einzigen, blutroten Strudel. Die Welt, seine Welt, versank im Chaos. Bilder von Feuer mischten sich in das Bild von den drei auf ihn zustürmenden Wachen, legten sich darüber, verschwommen. Alles erschien feindlich, bedrohlich und bizarr, doch hinter ihm, gerade außerhalb seines Gesichtsfeldes, spürte er ein warmes, seltsam lebendiges Leuchten. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass es das Leuchten nur in seinem Kopf gab, doch dann zögerte er nicht, danach zu greifen. Dieses Leuchten, das wusste ein Teil von ihm, war Leben. Jaemac verhielt sein Pferd und stieg ab. Langsam und nahezu geräuschlos schlich er sich an das kleine Lager heran. Die Sonne ging gerade auf, doch es war noch immer bitter kalt, und er war von seinem nächtlichen Ritt mehr als nur etwas unterkühlt. Doch das war im Moment nicht wichtig, er würde sich um sich selbst kümmern, wenn er Tavor gerettet hatte. Glücklicherweise hatte der Mann, der Tavor bewusstlos geschlagen und entführt hatte, gedacht, er würde noch schlafen, sonst könnte er seinem Freund jetzt wohl kaum mehr helfen. Es hatte ihn einige Zeit gekostet, herauszufinden, wohin er gebracht worden war, doch ein Kleinkrimineller, der ihm in einer finsteren Gasse über den Weg gelaufen war, hatte schließlich, wenn auch unfreiwillig, geholfen. Jaemac war mehrere Tage unterwegs gewesen, bis er die Gruppe schließlich eingeholt hatte, doch die Worte des Mannes waren ihm ein Rätsel geblieben. Was wollte eine Aes Sedai von Tavor? Dass die Frau eine solche war, war offensichtlich, schon allein deswegen, weil der Mann, der Tavor entführt hatte, einen farbverändernden Umhang getragen hatte. Was war an Tavor so wichtig? Er schlich sich näher an das Lager heran, weiterhin verwirrt. Dann, als ein Blitz aus heiterem Himmel nach unten zuckte und mehrere Stimmen in Todesqual aufschrien, begriff er. Yason schrak aus dem Schlaf hoch, als er die Schreie mehrerer Leute aus unmittelbarer Nähe vernahm. Todesschreie. Er hatte solche oft genug gehört, um sie zu erkennen. Irgendetwas musste schiefgelaufen sein, denn er fühlte Panik durch den Bund aufsteigen. Er griff sein Schwert und rannte aus dem Zelt, bereit, auf alles, was da kommen mochte, einzuschlagen. Doch gegen das was er auf der Lichtung erblickte war sein Schwert machtlos. Es brannte lichterloh, an mindestens einem Dutzend verschiedenen Orten gleichzeitig. Immer wieder schlugen Blitzeein, obwohl sich keine Wolke am Himmel befand, und verdächtig oft wurden dabei die Soldaten der Stadtwache aus Far Madding getroffen. Vier lagen schon tot oder sterbend auf dem Boden, und in diesem Moment wurde ein weiterer von einer jäh aufflammenden Feuerwand geröstet. Auf der anderen Seite der Lichtung erblickte Yason schließlich den Verursacher dieses ganzen Chaos. Favrian saß noch immer gegen den Baum gelehnt da und schien zu schlafen, doch als er näher kam sah Yason, dass seine Augen geöffnet waren, jedoch ins Leere blickten. Entschlossen hob er sein Schwert und stürmte auf Favrian zu. Drache oder nicht, er würde nicht zulassen dass er Mercella etwas zuleide tat. Er hatte das Leuchten ergriffen, und das Leben war in ihn eingezogen. Er fühlte sich so vollkommen und glücklich wie nie zuvor, als wäre ein vormals verlorener Teil von ihm zurückgekehrt, ohne den das Leben sinnlos und grau war. Noch immer sah er nur verschwommene, schemenhafte Bilder, immer wieder von Erinnerungen durchdrungen, doch irgendwie kamen nun mehr Gelb- und Orangetöne in den Schlieren vor, und einige der Geräusche klangen wie menschliche Schreie. Doch das interessierte ihn nicht weiter. Verzweifelt hielt er an dem Leuchten fest, das ihm immer wieder zu entgleiten schien. Er zog Kraft aus diesem Leuchten, und je mehr er ihm entzog, desto heller wurde es. Er atmete tief ein und seufzte vor Glück, als er mehr und mehr davon in sich zog. Mercella war endlich mit dem Ankleiden fertig und stürmte aus ihrem Zelt. Sie verfluchte es in diesem Moment, eine Frau zu sein, doch sie konnte sich als Aes Sedai nun mal nicht unbekleidet vor Männern zeigen. Hitze schlug ihr entgegen, als sie ins Freie kam, die Hitze unzähliger Brände, die scheinbar von Geisterhand überall auf der Lichtung entstanden und wieder erloschen. Ein Blitz schlug keine fünf Spannen von ihr entfernt in den Boden, und sie konnte die Energie nahezu spüren, die er in sich gehabt hatte. Sie erblickte Favrian am anderen Ende der Lichtung, wo er noch immer gefesselt und wie paralysiert am Boden saß. Sie verwob ein paar Stränge Saidar und versuchte, ihn abzuschirmen, doch ihr Versuch zeigte keinerlei Wirkung, die Stränge wurden von irgendetwas abgeschmettert. Vielleicht konnte man Männer gar nicht auf diese Weise abschirmen. Das erste Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, die rote Ajah erwählt zu haben, dann wüsste sie über so etwas sicherlich bescheid. Doch was sollte sie jetzt tun? Ihr oberstes Ziel war es, Favrian lebend in Gewahrsam zu bekommen, also konnte sie ihn nicht mit Feuerbällen oder Ähnlichem beschießen. Etwas drang durch den Bund zu ihr vor und riss sie aus ihren Gedanken, und einen Augenblick später war sie auf die Knie gesunken, unfähig, etwas anderes zu tun als zu schluchzen. Er spürte, wie ihm das Leuchten entglitt, langsam aber fortwährend entzog es sich seinem Griff. Er versuchte mit aller Gewalt, es wieder an sich zu ziehen, doch es ging nicht. Die Kraft, die dem Leuchten innewohnte, schien sich selbständig zu machen. Er sah nach oben, und trotz seiner gestörten Wahrnehmung sah er das helle, bläulich schimmernde Licht hoch oben am Himmel, das immer größer und größer wurde und innerhalb von Sekundenbruchteilen heran war. Es war schön, wunderschön, aber tödlich. Epilog Mercella spürte einen weiteren Weinkrampf in sich aufsteigen, doch diesesmal gelang es ihr, ihn zu unterdrücken. Sie würde sich früher oder später mit Yasons Tod abfinden müsseb, so traurig es auch war. Das flammende Inferno hatte urplötzich aufgehört, und an seine Stelle war eine unheimliche Stille getreten, die nur ab und zu durch das Stöhnen einer der Wachen unterbrochen wurde. Neun der zehn Soldaten waren bereits tot, und der letzte würde sich ihnen innerhalb der nächsten Stunde anschließen, dagegen konnte sie nichts mehr unternehmen. Der Baum, an den Favrian gebunden gewesen war, existierte nicht mehr, genausowenig wie Favrian selbst. Ein kleines Häufchen Asche lag an der Stelle, doch sie konnte nicht sagen, ob das Überreste des falschen Drachen oder des Baumes waren. Ihre Mission war gescheitert. Favrian war tot, und nichts konnte einen weiteren blutigen Krieg zwischen Illian und Tear mehr verhindern. Sie sah sich noch einmal um, doch sie wusste bereits, dass sie allein war. Wieder verspürte sie das Bedürfnis, zu weinen, und diesmal ließ sie ihm freien Lauf. Als sie sich später wieder gefasst hatte, ging sie zu einem Pferd, das durch reinen Zufall ebenfalls überlebt hatte, und stieg auf. Sie ritt nach Norden, Tar Valon entgegen, um der Amyrlin ihr Versagen zu beichten. Natürlich würde alles vertuscht werden, und in ein oder zwei Generationen würde man Favrian vollkommen vergessen haben. Alles was bleiben würde waren Aufzeichnungen im geheimen dreizehnten Depositorium der Weißen Burg. Jaemac ritt den Weg zurück, den er tags zuvor gekommen war. Er hatte das Grauen beobachtet, doch hatte keine Möglichkeit gesehen, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Der Junge war ihm sympathisch gewesen, deswegen hatte er ihm von dieser weiteren Möglichkeit seiner Identität, die sich aus seinen Träumen ergeben hatte, nicht erzählt. Der Junge hätte sonst womöglich durchgedreht. Naja, das war er nun auch. Jaemac gab sich die Schuld an dem Ausgang der ganzen Sache, denn hätte er dem Jungen seine Gedanken anvertraut, wäre es hierzu vielleicht nie gekommen. Doch nun, dachte er traurig, konnte man auch nichts mehr ändern. Er ritt weiter, der Heimat entgegen. Er würde Horwin erzählen, dass dessen Freund zu seiner Familie zurückgekehrt war, das war besser für ihn. In ein paar Jahren, wenn Jaemac sterben würde, würde das Wissen um Tavor...nein, Favrian...in Vergessenheit geraten, und das war gut so. Und viele, viele Meilen entfernt hob König Nattos das Schwert und befahl den Angriff.
|
Neuigkeiten Foren-Übersicht Artikelübersicht Bücherecke Grußkarten Umfragen Ratespiel Links Chat Discord |
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|