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Autor: Iscoron Veröffentlicht: 13.07.2004, 20:06:01 Letzte Änderung: 30.08.2004, 13:20:14 Schreibrecht: Nur Administratoren [ Artikel bearbeiten ] Abstract: Eine Geschichte über eine Aes Sedai aus einem vergangenen Jahrtausend, genauer gesagt aus der Zeit der Zehn Nationen und der Trolloc-Kriege. Dank an KdS von der FAV fürs Korrekturlesen und die Tipps ;) Das Rad der Zeit dreht sich, Zeitalter kommen und vergehen und lassen Erinnerungen zurück, die zu Legenden werden. ... Doch manchmal hat man für einen kurzen Moment das Gefühl, das Rad der Zeit würde anhalten, sein Muster, das das Leben jedes Menschen bestimmt, nicht mehr weiterweben und das Licht erlöschen, die Hoffnung versiegen. In einem Zeitalter, von manchen das Dritte Zeitalter genannt, in einem der dunkelsten Kapitel dieses Zeitalters, schien dies für viele der Wahrheit zu entsprechen ... Ausdruckslos stand Rhiane Sedai da. Inmitten von blutüberströmten Leichen. Wunden klafften an den Körpern, verursacht durch Schwerter, Speere, Äxte und beinahe jeder anderen erdenklichen Art von Waffen. Menschen, Trollocs. Hier und da bewegte sich ein Verletzter taumelnd vom Kampfplatz weg, gequältes Stöhnen drang aus einigen Kehlen. Dunkler Rauch entstieg einigen kleineren Bränden und vermischte sich in der windstillen Gasse mit dem Geruch des Todes. Rhiane nahm all dies kaum wahr, ihr Blick galt nur einem Menschen, einer Frau, die leblos auf dem Boden lag. Das alterslose Gesicht wurde von braunen Haaren mit einem leichten Graustich umrahmt, die Strähnen wüst in alle Richtungen verteilt und vom Staub der Straße verschmutzt. Beinahe meinte man Varene Malari würde schlafen, doch der schwarz gefiederte Pfeil, der aus ihrer Brust ragte verriet anderes. Viel Blut war nicht aus der Wunde getreten, doch die Pfeile der Trollocs töteten nicht selten auch auf andere Art, vergifteten ihr Ziel, sobald es einmal getroffen war. Eine weitere Frau stand über Varene gebeugt und hielt ihren Kopf in den Händen. Doch schließlich ließ Isaine Sedai die andere los, erhob sich vorsichtig und blickte Rhiane mit traurigen Augen an. Ein leichtes Kopfschütteln verriet, dass sie Varene nicht mehr helfen konnte. Es war zu spät. „Ich muss mich um die anderen kümmern.“ erklärte Isaine mit erstickter Stimme und warf Rhiane einen letzten traurigen Blick zu. Sie verstand. Isaine gehörte der gelben Ajah an. Sie hatte sich dazu verschrieben, den Verwundeten und Kranken zu helfen. Für Varene konnte sie nichts mehr tun, aber hier gab es andere, die ihrer Hilfe bedurften. Die Trollocs hatten ganze Arbeit geleistet. Das große Stadttor von Anolle’sanna stand nach wie vor offen, die eisenverstärkten Flügel zersplittert. Es war Verrat, der es den Streitkräften des Schatten ermöglicht hatte, in die Stadt vorzudringen. Jemand hatte die Wächter getötet und das Tor geöffnet, um sie hineinzulassen, nachdem sie die Nacht genutzt hatten, um sich anzuschleichen. Wahrscheinlich wäre Anolle’sanna - eine der stärksten Befestigungen Aramaelles - in die Hände des Schattens gefallen, wären nicht Varene und ihre Gaidin in der Nähe gewesen, um den Ansturm so lange aufzuhalten, bis die Verteidiger der Stadt erfolgreich zurückschlagen konnten. Wie auch Rhiane selbst gehörte Varene der grünen Ajah an, der Gruppe von Aes Sedai, die die Eine Macht benutzten, um in vorderster Reihe gegen die Horden des Schattens zu kämpfen, die aus der Großen Fäule hervorströmten. Seit Ausbruch der Trolloc-Kriege vor fast 200 Jahren waren die Grünen aus kaum einer Schlacht wegzudenken. In einer Zeit, wo viele der gegnerischen Heere von Schattenlords geführt wurden, brauchte man die Unterstützung der Aes Sedai. Rhiane hatte schon früh nach der Entdeckung ihres Potentials beschlossen, sich den Grünen anzuschließen. Einerseits, weil sie aus Jaramide stammte, welches ebenso wie Aramaelle an die Große Fäule grenzte und so bereits mehrmals in diesem Krieg von den Trollocs verwüstet worden war, andererseits weil sie immer zu Varene aufgeschaut hatte. Die ältere Aes Sedai war ein Vorbild an Einsatz und Pflicht, eine Kämpferin für das Licht von ganzem Herzen. Doch nun war der Faden ihres Lebens zu Ende. Es war ein Tod, wie Varene sich ihn gewünscht hätte, dem Feind gegenüberstehend und kämpfend mit aller Macht, die Saidar ihr verlieh. Und doch schmerzte es Rhiane unerträglich, die Frau verloren zu haben, die ihr beinahe wie eine Mutter gewesen war. Varene hatte sie damals entdeckt und nach Tar Valon gebracht, hatte ihre vieles über die Eine Macht beigebracht und war schließlich auch diejenige, die ihr die grün gefranste Stola überreichte und sie offiziell in ihrer Ajah willkommen hieß. Rhiane zuckte zusammen, als hinter ihr eine vertraute Stimme erklang, doch es erfordete nur einen kurzen Augenblick, um ihre äußerliche Ruhe wiederherzustellen und sich dem Neuankömmling zuzuwenden. Catala Sedai – eine Rote – komplettierte nun die vier Schwestern, die in der Stadt waren, um bei der Verteidigung zu helfen. Begleitet wurde sie von Lord Jaron aus dem Hause Dosharan, der alle Streitkräfte in der Stadt befehligte, die unter dem Banner des Geflügelten Schwertes von Aramaelle kämpften. „Wir haben die letzten Trollocs getötet oder in die Flucht geschlagen.“ verkündete sie. Einige der Schattenkreaturen hatten tiefer in die Stadt vordringen können, doch offenbar wurden auch diese zurückgedrängt. Zum Glück war die Streitmacht nicht allzu groß gewesen; eigentlich erstaunlich, wenn man bedachte, wieviele Armeen mit mehreren 10.000 Mann – oder Trollocs – dieser Krieg bereits gesehen hatte. Auch Catala schien der Anblick von Varene wie sie dort auf dem Boden lag Unbehagen zu bereiten, doch weder sie noch der kampferfahrene Lord Jaron sagten etwas. Schließlich schritt Catala alleine zum aufgesplitterten Tor. Kurzentschlossen folgte Rhiane der anderen Aes Sedai, während Lord Jaron seinen Soldaten Befehle für die Aufräumarbeiten zurief. Eine Weile betrachteten die beiden Schwestern das Tor ohne etwas zu sagen, dann brach Catala das Schweigen: „Wo sind eigentlich Varenes Gaidin?“ Rhiane musste sich eingestehen, daran kaum einen Gedanken verschwendet zu haben, obwohl sie die vier Männer gut gekannt hatte. Varenes Tod hatte zuvor alle anderen Gedanken überlagert. Kurz besann sie sich, ehe sie hervorbrachte: „Sie haben mit ihr das Tor verteidigt.“ Mehr musste nicht gesagt werden. Catala verstand. Sie war zwar eine Rote und hielt somit nicht viel davon, Männer an sich zu binden, aber dennoch war ihr die Bedeutung von Rhianes Aussage nicht entgangen. Doch in diesem Moment fielen Rhiane ihre eigenen Gaidin ein. Wo waren eigentlich Amon und Daeric? Als Rhiane durch die Alarmglocken geweckt wurde, hatte sie nicht auf die beiden gewartet, sondern hatte sich sofort auf den Weg zum Kampfplatz gemacht. Sie tastete nach den beiden Bündeln von fremden Gefühlen, die sich in der hinteren Ecke ihres Bewusstseins befanden und es ihr ermöglichten, ihre Beschützer zu spüren. Amon war auf dem Weg zu ihr, sie spürte ihn näherkommen. Er war vor kurzem durch eine Myrddraal-Klinge schwer verletzt worden und sollte sich eigentlich erholen, doch er konnte Rhiane wohl nicht in dieser Gefahr alleine lassen und hatte sich trotzdem auf den Weg gemacht. Und Daeric? Überrascht stellte Rhiane fest, dass sie ihren zweiten Gaidin nicht spüren konnte. Er war nicht tot, das hätte sich anders angefühlt. Nein, ganz entfernt, nahm sie noch ein schwaches Echo seiner Person wahr, doch er schien sich vor ihr zu verbergen. Irgendwie schirmte er sich vor ihr ab! „Nein, Catala, er muss es gewesen sein.“ Ärgerlich stapfte Rhiane durch die Gänge der Burg von Anolle’sanna, die andere Aes Sedai neben ihr. Amon folgte den beiden in gebührendem Asbtand. Vorbeikommende Diener und Soldaten schienen sich am liebsten unsichtbar machen zu wollen, als sie die beiden Aes Sedai passierten. Daeric! Wie konnte er das tun? Wie konnte er das Licht verlassen haben, eine ganze Stadt verraten und beinahe in den Untergang geführt haben? Und was noch viel schlimmer war: Wie konnte dies ihr entgehen? Sie war die Schwester, an die er als Gaidin gebunden war, sie kannte ihn seit Jahren, sie spürte ihn in ihrem Kopf! Natürlich war es Rhiane nicht entgangen, dass mit Daeric am Vorabend etwas nicht stimmte, aber sie hatte ja nicht ahnen können, was dahinter steckte. Zorn brodelte in ihr – Zorn auf Daeric, und Zorn auf sich selbst, weil sie ihn nicht aufgehalten hatte. „Daeric scheint sich im Kampfgetümmel aus dem Staub gemacht zu haben. Ich nehme an, er versucht möglichst viel Abstand zwischen sich und dich zu bringen, damit du ihn erst recht nicht mehr aufspüren kannst? Du solltest ihn einfach ziehen lassen und aus deinem Bewusstsein verdrängen.“ sagte die Rote kalt. Grimmig schüttelte Rhiane den Kopf. Catala konnte ihre Gefühle nicht nachvollziehen ... natürlich wusste sie in der Theorie wie ein Behüterbund funktionierte, aber ihre Ajah lehnte das Binden von Männer strikt ab – eine Einstellung, die Rhiane früher nie wirklich verstehen konnte, jetzt jedoch schon. „Nein, ich kann das nicht verdrängen. Ich werde Daeric aufspüren und zur Rechenschaft ziehen. Ich muss.“ Sie war auf gewisse Weise für das Geschehene verantwortlich. Und sie konnte nicht einfach jemanden vergessen, in dessen Hände sie bis vor kurzem ihr Leben gelegt hätte und der sie nun hintergangen hatte. Geimeinsam verließen sie das Hauptgebäude der Burg und näherten sich dem Stall, wo Rhianes Pferd Calmuad stand. Amon machte Anstalten ihnen zu folgen, doch Rhiane wies ihn zurück: „Nein, auf diese Jagd muss ich alleine gehen. Daeric hat kaum mehr als zwei Stunden Vorsprung, aber ich brauche absolute Ruhe, um mich auf ihn konzentrieren zu können. Die Nähe zu dir würde mich mehr behindern als mir nützen.“ Durch den Bund konnte Rhiane spüren, wie wenig sich Amon mit diesem Gedanken anfreunden konnte, doch er nickte und blieb stehen, während Rhianes Hengst – ein stolzer Roter mit schlankem Hals und großer Ausdauer - gesattelt wurde. Rhiane stieg aus dem Sattel und führte ihr Pferd über eine Hügelkuppe, einer von vielen in dieser Region. Wald existierte glücklicherweise im Umkreis kaum, so dass man weit blicken konnte, aber die flachen Täler zwischen den Hügeln machten die Suche nach einem einzelnen Mann dennoch beinahe unmöglich. Doch Rhiane hatte nicht vor, sich auf ihre Augen und Ohren zu verlassen. Langsam schloss sie die Augen und atmete tief und ruhig. Sie blendete alles um sie herum aus, den Wind, der sanft über ihre Haut strich und ihre einfaches dunkles Reitkleid leicht bewegte, das Rauschen der Grashalme, wenn leichte Böen über den Boden fegten, den schwachen Geruch des einige Schritte entfernt stehenden Pferdes, das Zwitschern der Vögel ... einfach alles. Sie war allein mit ihrem Geist, befand sich im Einklang mit dem Nichts. Eine Rosenknospe erschien aus dem nichts ... langsam begann sie sich zu öffnen. Es war eine alte Konzentrationsübung für Novizinnen in der Weißen Burg, die Saidar noch nicht problemlos ergreifen konnten, doch in diesem Fall diente sie Rhiane dazu, sich auf etwas ganz bestimmtes zu besinnen. Alle ihre Gefühle schob sie von der sich öffnenden Blüte weg, Erschöpfung, Zorn, Enttäuschung verschwanden. Ebenso schien der kleine Knoten, der Amon darstellte zu verblassen. Im Inneren der Blüte, von den Rosenblättern nun nicht mehr verdeckt fand sie Daeric, kaum wahrnehmbar und dennoch vorhanden. Sie richtete alle ihre Gedanken auf diesen einen Punkt, diesen winzigen Fetzen seines Geistes. Daeric. Und plötzlich fühlte sie ihn. Sie schlug die Augen auf. Die Richtung war klar. Sie hätte mit dem Finger auf seine Position hinter den Hügelkämmen deuten können. Er würde ihr nicht entkommen! Der Spur folgend ritt Rhiane nach Süden. Sie trieb Calmuad zur Eile an, galoppierte immer wieder ein Stück, fiel dann in einem langsameren Trab zurück, stieg immer wieder ab und überprüfte, ob sie noch in der richtigen Richtung unterwegs war. Seit geraumer Zeit stellte sie sich jedoch die Frage, wo Daeric eigentlich hinwollte. Sie war sich sicher, den Bund ebenfalls gut genug verschleieren zu können, dass er ihr Näherkommen nicht bemerkte, ehe sie auf Sichtweite heran war. Als Aes Sedai verstand sie es besser als die meisten Gaidin ihre eigenen Gefühle unter Kontrolle zu halten und zu verbergen. Sie hatte einige Zeit auf den Flüchtigen gut gemacht, doch wohin Daeric wollte, war ihr nach wie vor nicht klar. Sein Ziel musste es sein, Abstand zwischen sich und mich zu bringen, damit ich ihn gar nicht mehr aufspüren kann. Er weiß, dass ich versuchen werde, ihn zu finden, überlegte sie. Doch in dieser Richtung lagen weder eine gut ausgebaute Straße, noch ein Fluß, auf dem er mit einem Schiff davonkäme. Ansiedlungen gab es hier ebenfalls keine, nur das Ogierstedding Nurshang lag in der Nähe. Ein Ogierstedding? Dort hätte Rhiane keine Chance gegen den abtrünnigen Gaidin. Aber Daeric hatte wohl kaum vor, sich die nächste Zeit in einem Stedding zu verkriechen. Wenn die Ogier ihn nicht vertrieben, würde er spätenstens dann in der Enge sitzen, wenn Amon auftauchte. Doch sie ahnte, wohin sie dies führte. Daeric musste es auf das Wegetor des Steddings abgesehen haben – die schnellste Möglichkeit, sich von der Aes Sedai, an die er nach wie vor gebunden war, zu entfernen. Gar nicht so dumm von ihm. Rhiane verschwendete nun keine Zeit mehr damit, Daerics Position durch den Bund zwischen ihnen zu bestimmen. Sie kannte den Weg nach Nurshang und ritt so schnell, wie es ihr Pferd gestattete. Selbst ein ausdauerndes Pferd wie Calmuad hätte ihrem Ritt nicht standhalten können, würde Rhiane dem Tier nicht mit einem einfachen Gewebe aus Saidar die Erschöpfung nehmen. Immer größere Gruppen von Bäumen verdrängten Gras und niedrige Sträucher. Die Wälder von Nurshang waren nicht weit. Rhiane musste ihren Gaidin unbedingt vor der Grenze des Steddings erreichen. Innerhalb der Grenzen würde sie Saidar nicht erreichen können und hätte keine Chance gegen Daeric. Und außerhalb auf ihn zu warten, könnte eine Ewigkeit dauern. Eine Gruppe von Vöglen, die zwischen zwei Waldinseln im Gras saßen wurden plötzlich aufgeschreckt. Zuerst erkannte sie den Grund nicht, doch dann umspielte ein grimmiges Lächeln ihre Lippen. Sie erkannte eine verschwommene Bewegung. Saidar strömte durch sie und schärfte ihre Sinne. Daerics farbenverändernder Umhang. Es war pures Glück, dass sie ihn so entdeckt hatte. Im Galopp hielt Rhiane auf den Mann zu, dessen Kleidung ihn seiner Umgebung fast perfekt anpasste – aber eben nur fast. Wenn man wusste worauf es ankam und Saidar als Hilfe hatte, ließen sich die Schemen der Person erkennen. Rhiane konnte nicht hoffen, ungesehen noch näher zu kommen. Daeric wandte sich um und bemerkte seine Verfolgerin. Er verfiel in ein schnelleres Tempo. Es konnten kaum noch mehr als 3 oder 4 Meilen bis zur Grenze von Nurshang sein. Rhiane wollte und konnte Daeric nicht töten, trotz seines Verrats – nun, jedenfalls nicht, solange der Bund zwischen ihnen noch bestand. Die starken Emotionen wenn ein Gaidin starb konnten so manche Aes Sedai über mehrere Wochen hinweg stark beeinträchtigen. Aber um die Verbindung zu lösen, war ein komplexes Gewebe notwendig. Dazu musste sie näher heran und ihn irgendwie einfangen. Saidar durchströmte sie und wog sie in einer merkwürdigen Art von ruhiger Konzentration auf ihr Ziel, während ihr Ärger über den Verrat und ihre eigene Unfähigkeit, dies rechtzeitig zu erkennen, in den Hintergrund rückten. Luftstränge formten sich vor ihr und peitschten auf Daeric zu, als sie das Gewebe losließ. Der Boden wurde dicht neben ihm aufgewühlt, Erde wirbelte empor, aber es war ihm wirklich gelungen auszuweichen. Rhiane versuchte es erneut und wieder schlug er im letzten Moment einen Haken, ohne den nächsten Waldflecken aus den Augen zu lassen. Wieder und wieder schlugen die Gewebe nach ihm und immer wieder verfehlten sie ihr Ziel. Daeric musste wirklich das Glück des Dunklen Königs auf seiner Seite haben, immerhin konnte er die Stränge mit denen sie ihn zu fangen versuchte nicht sehen, nur einen Hauch von dem wahrnehmen, was in ihrem Kopf vorging. Einmal brachte Rhiane ihn durch eine ihrer Luftpeitschen zu Fall, doch er rappelte sich sofort wieder auf und spurtete weiter. Sie versuchte ihn mit ihren Geweben einzufangen, doch die durch den farbenverändernden Umhang verwischten Umrisse machten es ihr schwer, ihn an den richtigen Stellen zu packen. Rhiane zog soviel Saidar wie möglich heran, fokussierte alles auf ein neues Gewebe, komplizierter als die vorigen. Ein Netz bildete sich, ein Muster aus Luftsträngen mit vereinzelten Erdfäden kombiniert. Dies würde eine Kuppel erschaffen, aus der Daeric nicht entkommen konnte ... Wieder kreischten Vögel. Am Rande ihres Sichtfeldes nahm Rhiane eine Veränderung war. Ihr Blick huschte zur Seite. Was sie sah, erschrak sie. Eine Hügelkette in einigen Meilen Entfernung wurde von unzähligen dunklen Gestalten überflutet. Von dem grün-braunen Grasboden sah man kaum noch etwas. Ihre geschärften Sinne verrieten ihr noch mehr: Trollocs, gemischt mit Reitern und menschlichem Fußvolk. Eine ganze Gruppe von Schwarzgekleideten ritt in ihrer Mitte. Trotz der Entfernung bestand für Rhiane kein Zweifel, dass es sich nur um Myrddraal handeln konnte. Sofort wandte sie sich wieder Daeric zu, der immer noch weiter rannte, und zog ihr Fallengewebe zusammen. Zu spät! Diese kleine Ablenkung ihrer Konzentration hatte dem Gaidin gereicht, um aus dem Einflussbereich der Falle zu schlüpfen. Mit einigen wenigen Schritten erreichte er die ersten Bäume. Es würde nun keine Vorteil mehr bringen, ein reittier zu haben, jenseits der Baumgrenze war es sogar hinderlich. Trotzdem wollte Rhiane ihr Pferd weiter treiben, doch ihr Blick glitt abermals zur Seite, wo die Armee des Schattens nach Osten zog ... nach Anolle’sanna! Die Tore waren sicher noch nicht repariert, was bedeutete, dass die Stadt ein leichtes Ziel wäre – erst recht, da die Nacht bald hereinbrechen würde. Schon einmal war der Schatten bei Nacht bis zu den Toren vorgedrungen. War diese zweite Angriffswelle möglicherweise von Anfang an geplant gewesen? Deshalb hatte der Schatten seine Attacken möglicherweise darauf konzentriert, das Tor unbrauchbar zu machen! Aber allein konnte sie das Heer unmöglich aufhalten. Selbst eine Aes Sedai konnte dieser Masse nicht widerstehen. Saidar verlieh ihr eine Kraft, mit der es nur andere Machtlenker aufnehmen konnten, aber sie war dadurch nicht unsterblich. Ein einziger Pfeil konnte eine Aes Sedai genauso töten wie jeden anderen Menschen. Und wenn das Heer auch noch von einem Schattenlord befehligt wurde? Sie könnte höchstens voraus reiten und die Stadt warnen. Doch dann würde sie Daeric entkommen lassen, möglicherweise für immer. Er musste zur Rechenschaft gezogen werden für seinen Verrat. Und Rhiane musste diesen Bund loswerden. Der Gedanke, Daerics Gefühle für immer in ihrem Kopf zu haben, machte ihr Angst. Nicht nur, dass es eine große Belastung darstellte, nein, es würde sie auch unaufhörlich an seinen Verrat und ihr Versagen erinnern ... und an Varenes Tod. Das Rad der zeit wob manchmal seltsame Muster. Anolle’sanna würde einen kleinen Augenblick warten können – oder nicht? Daeric verschwand immer tiefer zwischen den Bäumen und ein weiteres von Rhianes Luftgeweben wirbelte bloß trockenes Laub vom Boden auf. Er war zu weit weg. Zu weit weg, um noch mit der Einen Macht aufgehalten zu werden, und erst recht zu weit weg, um den Bund zu lösen. Wenn Calmuad schnell genug war, konnte sie ihn vielleicht auf der anderen Seite des Wäldchens in Empfang nehmen. Unvermittelt ging ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf, ein alter Vers aus Jaramide, aus ihrer Heimat: Wo andere zurückweichen bleiben wir stehen, Wo andere nur an sich denken werden wir die Pflicht sehen, Unsere Wache dauert an. Rhiane brachte Calmuad zum stehen. Das hier hat keinen Sinn, wurde ihr klar. Ihre Verantwortung als Aes Sedai – als Dienerin aller – ging über ihre eigenen Gaidin und ihre persönliche Rache hinaus. Es war ihre Pflicht, Anolle’sanna zu warnen. Erneut formte sie ein Gewebe, dieses Mal jedoch zu einem anderen Zweck. Laut und klar trug es ihre Worte zwischen den Bäumen hindurch: „Daeric, flieh wohin du willst! Aber ich werde dich überall finden und zur Rechenschaft ziehen, und wenn ich dir bis zum Krater des Verderbens folgen muss!“ Ihre Stimme klang fest und überzeugt, doch ihr war bewusst, wie hohl diese Behauptung wahrscheinlich war. Ihn aufzuspüren war fast unmöglich, wenn er sich erst einmal in den Kurzen Wegen befand. Dennoch wandte Rhiane entschlossen ihr Pferd und ritt im Eiltempo zurück zur Stadt. Wie ein Pfeil flog Rhiane Sedai durchs Land, die Armee des Schattens immer dicht im Nacken, doch selbst die ausdauernden Trollocs konnten diese Geschwindigkeit auf lange Sicht nicht halten, wussten ihre Befehlshaber doch auch nicht, dass sie bereits entdeckt waren. Und so geschah es, dass man den Dienern des Dunklen Königs in der tiefsten Nacht gut vorbereitet entgegentrat. Und auch wenn die Schwerter der Myrddraal auf menschliches Fleisch trafen, die Toten sich am verbarrikadierten Tor stapelten und das Schlachtfeld immer wieder von Feuerbällen heimgesucht wurde, waren es am Morgen die Streiter des Lichts, die den Sonnenaufgang begrüßten, unter ihnen eine Aes Sedai der Grünen Ajah, die die Stadt noch rechtzeitig warnen konnte. Und mit dem neuen Morgen erhob sich ein Wind. Der Wind war nicht der Anfang. Es gibt bei der Drehung des Rads der Zeit keinen Anfang und kein Ende. Doch es war ein Anfang ...
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