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Zu neugierig

Als es schließlich nicht mehr weiterging, verfluchte Egwene sich für ihre Dummheit. Sie hatte keine Ahnung, wie man den Zugang zur Plattform öffnete. Zwar konnte sie wegen eines Fensters an der Seite genug sehen, aber auf den ersten Blick schien es keine Möglichkeit zu geben, die weiße, massiv wirkende Decke über sich zu öffnen.

Rasch untersuchte sie die nähere Umgebung und war erleichtert, als sie einen kleinen grünen Punkt an der Wand entdeckte. Sie drückte darauf und tatsächlich glitt die Decke mit einem vertraut wirkenden Zischen außer Sicht. Eilig trat sie auf die Plattform und hinter ihr glitt die Öffnung wieder zu. Sie befand sich nah am Rand, ein kalter Frühlingswind pfiff um die geschwungenen Kanten der Umrandung, aber Egwene achtete nicht darauf und lief eilig zu der breiten Säule in der Mitte hinüber. Hektisch kramte sie in dem Beutel, den sie der Roten abgenommen hatte, und zog das Seil heraus, ihr Vorsprung war nicht sehr groß. Sie warf den Beutel wieder über ihre Schulter und griff nach Saidar, während sie das Seil abrollte. Sobald sie nah genug war, hob sie mit einem Strang aus Luft den Haken über die Kante und zog. Das Seil hielt und sie ließ Saidar wieder los.

Sofort begann Egwene, sich hinaufzuziehen, wobei sie sich mit den Füßen gegen die Säule stemmte. Ihre Arme begannen von den ungewohnten Bewegungen etwas zu brennen, aber sie konnte schließlich die Kante ergreifen und zog sich zwischen den Verstrebungen höher, bis sie einen unsicheren Stand gefunden hatte. Der Tümpel zeigte, wie erhofft, eine dem ungewöhnlich kalten Frühlingstag angemessene Eisdecke und sie sprang vorsichtig herunter. Das Eis hielt, auch wenn es unter ihr knackte. So schnell sie konnte, zog sie das Seil hinter sich herauf und es war keinen Augenblick zu früh, denn in diesem Moment glitt die Luke erneut auf und sie duckte sich hinter die Brüstung.

Ein kurzer Rundumblick zeigte ihr die gesuchten gelben Punkte. Sie presste ihren Zeigefinger auf den unteren, aber nichts geschah, oder doch? Sie spürte ein Prickeln, das aber schnell wieder verging. Hatte der grüne Punkt auch so geprickelt? Sie war sich nicht sicher, hatte in ihrer Eile kaum darauf geachtet. Stirnrunzelnd drückte sie auch den oberen Punkt, sie war sich sicher gewesen, dass der untere Punkt sie nach unten bringen würde, aber sie hatte sich offenbar geirrt. Sie griff nicht nach Saidar, um eventuelle Ströme Saidars zu entdecken, damit Pevara nicht ihren Standort ausmachen konnte.

Wieder spürte sie dieses kurze Prickeln, aber diesmal erfolgte noch eine weitere Reaktion: Die Verstrebungen wurden so durchsichtig, wie der Kristall es gewesen war und der Boden hob sich langsam unter ihr! Sie sah durch die jetzt durchsichtige, dünne Wand hindurch, wie Pevara ungläubig zu ihr heraufstarrte, während die Streben von der Mitte aus klar wurden, doch etwas anderes beanspruchte dringend ihre Aufmerksamkeit, denn auch die Eisdecke unter ihr hob sich und begann, zu schwanken, als die Verstrebungen mit nach oben gebogen wurden. Automatisch nahm sie die Eine Macht in sich auf und sah, dass feine Ströme – aus Erde, wie sie zu erkennen glaubte – durch die Verstrebungen bis zu den Ovalen der Brüstung schossen. Mühsam hielt sie das Gleichgewicht, als unter ihr Wasser durch neu entstandene Öffnungen in die Tiefe plätscherte und klammerte sich an einer der Verstrebungen fest.

„Was hast Du getan?“ rief Pevara ungläubig herauf, während sie selbst weiter nach oben glitt und bald eher auf der immer breiter werdenden Verstrebung lag, als dass sie daneben stand. Die Menge an Saidar, die diese Veränderungen bewirkte, war verblüffend gering und die wirkenden Stränge waren so zahlreich und fein, dass sie keine Einzelheiten erkannte. Das hier würde man unten in der Burg sicherlich nicht auffällig spüren, stellte sie mit großer Erleichterung fest. Sie schob mit Hilfe der Macht den kreisrunden Eisblock zur Seite und das restliche Wasser und den Schmutz gleich mit. Das Seil allerdings holte sie sicherheitshalber heran und legte den Haken um den Gürtel um ihrer Hüfte, damit es nicht verlorengehen konnte. Dann kroch sie vorsichtig rückwärts, weiter zur Mitte hin, und richtete sich schließlich neben einem milchig wirkenden, hüfthohen Pfeiler bis auf die Kniee auf, auf dem zwei gelbe Punkte sich deutlich abzeichneten.

Krampfhaft klammerte sie sich an dem Pfeiler fest, während es weiter langsam aufwärts ging. Alles andere, was oberhalb des Bodens der Plattform lag, war mittlerweile durchsichtig geworden und in fließender Bewegung. Der Pfeiler, an den sie sich klammerte, war nicht der einzige, ein paar Spannen weiter sah sie einen zweiten, auf dem sie dank Saidar deutlich einen grünen Punkt erkannte. Erst Minuten später hörte die Aufwärtsbewegung schließlich auf, der flache Platz auf dem sie kniete, hatte jetzt einen Durchmesser von mindestens zehn Spannen und da er völlig durchsichtig war, konnte sie Pevara durch den Fußboden hindurch deutlich sehen. Die mächtige Säule in der Mitte war vollständig verschwunden! Die Aes Sedai wirkte verständlicherweise aufgeregt und rief „Komm sofort da runter, Kind!“

Egwene lachte unsicher. Sie war zwar schwindelfrei, aber auch wenn ihr derzeitiger luftiger Aufenthaltsort nicht schwankte, wie es ein Baum getan hätte, befand sie sich jetzt mindestens zwanzig Spannen über dem Boden der Plattform. Und die befand sich immerhin auf dem höchsten Turm der Welt. Und direkt unter ihr war zwar fester Boden, aber er war DURCHSICHTIG! Sie würde nichts lieber tun, als auf der Stelle zu Pevara zu gelangen, wusste aber nicht, wie sie das anstellen sollte. Saidar würde ihr jetzt genausowenig nützen wie das Seil, welches sie rasch mit Strängen aus Luft aufwickelte und wieder im Beutel verstaute, dann ließ sie die Eine Macht wieder fahren.

Es war klar, dass einer der farbigen Punkte sie zum Herzen der Burg bringen würde. Ebenfalls klar war, dass ein weiterer sie wieder zur Plattform brächte, aber welcher? Der obere Punkt an ihrem Pfeiler war jetzt rot, der andere nach wie vor gelb. Sie blickte sich um, ignorierte so gut es ging die Aussicht und blickte nachdenklich auf den einzelnen grünen Punkt am anderen Pfeiler. Es war auch ein grüner Punkt gewesen, der sie vorher zur Plattform gebracht hatte, also war dieser sicherlich dazu da, nach unten zu gelangen.

Sie wollte am liebsten auf allen vieren die wenigen Schritte dorthin kriechen, aber sie wollte sich auch keine Blöße geben, also richtete sie sich vorsichtig auf. Ein Schweißtropfen glitt über ihr Gesicht, als sie etwas später mit starren Schritten den anderen Pfeiler erreichte. Sie drückte den grünen Punkt und unter ihr glühte eine quadratische Fläche um den Pfeiler herum leuchtend auf, die etwa zwei mal zwei Spannen maß. Erstaunlich sanft glitt sie darauf nach unten und sobald sie auf der Aussichtsplattform war, ließ das Leuchten wieder nach. Ein weiterer weißer Pfeiler mit grünem Punkt, den sie von oben nicht hatte ausmachen können, weil er sich von dort gesehen nicht vom weißen Boden unterschied, befand sich jetzt direkt neben ihr. Egwene warf einen neugierigen Blick auf die kristallklare Kuppel über ihr, auf der von hier unten zwei weiße Flecken zu sehen waren, wo die anderen Pfeiler standen. Sie schien keinerlei Löcher aufzuweisen, obwohl sie gerade hindurchgeschwebt war!

Ihre Beine fühlten sich an, als wären sie mit Wasser gefüllt, aber sie drückte entschlossen die Kniee durch, während sie sich um Fassung bemühte. Pevara kam nur langsam auf sie zu. Sie wirkte sehr blass, als sie mit heiserer Stimme feststellte: „Also hast Du tatsächlich das Herz der Weißen Burg gefunden, Mädchen. Es ist ... beeindruckend.“

Egwene lachte unwillkürlich auf. „Das hier ist nur der Eingang, Pevara, das Herz befindet sich weit unter unseren Füßen. Willst Du es sehen? Dann musst Du mit mir da hinauf.“ Sie deutete so gelassen sie es vermochte senkrecht nach oben.

Die Aes Sedai wurde womöglich noch blasser, nickte aber schließlich und trat neben sie und den Pfeiler.

„Drücke einfach den grünen Punkt, Tochter.“ sagte Egwene ruhiger, als sie sich fühlte.

Die Aes Sedai blickte sie bei dieser Anrede scharf an, tat aber wie geheißen. Sofort glühte die Leuchtscheibe wieder auf und sie glitten sanft nach oben. Wo der durchsichtige Boden sein sollte, leuchtete jetzt gleichfalls eine quadratische Fläche, die sie widerstandslos durchqueren konnten. Kaum waren sie wenig später oben angekommen und standen auf dem festen aber durchsichtigen Untergrund, da fragte Pevara „Und jetzt?“

„Der andere ... was immer es ist, führt nach unten zum Herz der Burg. Folge mir einfach.“ Es kostete sie erneut Überwindung, diesen Pfeiler loszulassen, aber sie ging dennoch rasch zu dem anderen hinüber. Pevara folgte ihr mit kleineren Schritten und wandte ihren Blick nicht von ihr ab. Sobald sie neben ihr stand, drückte Egwene auf den unteren gelben Punkt. Erneut erschien das Leuchten und sie glitten sanft abwärts

„Du darfst auf keinen Fall dort unten die Eine Macht lenken, Tochter, das ist gefährlich. Es gibt ein Schutzgewebe, das umso stärker wirkt, je mehr Saidar man aufnimmt.“ Pevara nickte nur mürrisch und sie fragte sich, ob sie die Warnung vorsichtshalber noch etwas ausführen sollte, als die leuchtende Plattform langsam durch den Boden der Plattform ins Innere der Burg sank und wenig später mitten im Schacht verharrte.

Sie lächelte, als sie zwei gelbe Punkte an jeder der umgebenden Wände entdeckte. Diese Transportvorrichtung konnte sie zu verschiedenen Stellen der Burg befördern, das war phantastisch! „Wir müssen ganz nach unten.“ sagte sie, als wäre sie nicht genauso überrascht über diesen Halt wie die verwundert dreinblickende Sitzende, die schweigend zur Antwort nickte, und drückte den unteren Punkt, der ihr am nächsten lag.

Die Reise ging weiter. Die leuchtende Plattform spendete genügend Licht, um einen Teil des quadratischen Schachts zu erleuchten, und es gab einige weitere Stopps, bevor sie unten waren. Beim nächsten davon drückte Pevara einen der unteren gelben Punkte, um zu testen, ob es auch bei ihr funktionierte, was der Fall war. Danach ließ sie Egwene wieder „die Arbeit“ selbst machen. Sie bemerkte, dass die unteren Punkte beim letzten Halt ihre Farbe zu einem leuchtenden rot verändert hatten, war aber nicht sicher, ob Pevara es bemerkt hatte, denn sie drückte schnell darauf. Egwene hatte bereits ein weiteres Mal und sehr deutlich auf den tödlichen Verteidigungsmechanismus hingewiesen und auch überprüft, dass die Rote nicht vom Leuchten Saidars umgeben war.

Anders als im Schacht, spürte Egwene wieder am Finger ein Prickeln, das rasch wieder verging. Sie wusste, dass es sowohl nutzlos als auch gefährlich wäre, Saidar zu ergreifen, um die Stränge des Gewebes zu erkennen. Sie hatte oben auf der Aussichtsplattform einen kurzen Blick darauf erhascht, aber die Gewebe waren viel zu komplex, um sie enträtseln zu können. Sie bezweifelte nicht, dass sogar Nynaeve damit Schwierigkeiten hätte, wenn sie so viel Saidar aufnähme, wie möglich. Das Herz der Burg war offensichtlich mit Hilfe allen Wissens gebaut worden, das am Ende des Zeitalters der Legenden noch zur Verfügung gestanden hatte.

Nur wenig später kamen sie in der Kammer mit dem beeindruckenden Ter'angreal in der Mitte zum Stehen. Sobald die Leuchtscheibe verblasste, standen sie in völliger Dunkelheit.

„Denke daran, greife nicht nach der Einen Macht.“ wiederholte sie ruhig. Dann schritt sie nach einem "Warte hier, Tochter." an der Wand entlang und zählte dabei ihre Schritte. Auch in der Dunkelheit übte der Kristall eine gewisse Faszination aus, aber sie konnte das diesmal leicht ignorieren, denn sie war ja gewarnt.

„Wo willst Du hin?“ rief die Rote im Befehlston hinter ihr her, aber sie kümmerte sich nicht darum.

Sobald sie nach der zweiten Ecke genau so viele Schritte gemacht hatte, wie sie vorher bis zur ersten gebraucht hatte, tastete sie über ihrem Kopf nach dem roten Punkt. Schnell hatte sie ihn gefunden und drückte darauf. Ein Leuchten flammte augenblicklich von der Wand hinter ihr auf, welches den großen Raum in ein warmes Licht tauchte. Diesmal dauerte das Prickeln in ihrem Finger länger an und sie ließ ihn, wo er war, bis es aufhörte.

Sie hörte Pevara deutlich nach Luft schnappen, als zugleich die Wände zur Seite glitten und die Dinge freigaben, die dahinter verborgen lagen. Sobald das Prickeln vorbei war, ging auch sie wieder um den Kristall herum und näherte sich der geöffneten Wand. Pevara strich vorsichtig und mit offenem Mund mit der Hand über einige der Dinge, die zu sehen waren. Ihr Kopf wandte sich staunend von einem zum anderen, als sie an der Wand entlangging, aber Egwene interessierte sich mehr für den eigenartigen Ständer in der Mitte, den sie in der Welt der Träume wegen des Kristalls nicht hatte sehen können.

Die angedeutete Gestalt einer Frau war angetan mit Helm, Rüstung, einer Halskette, Handschuhen und Stiefeln, die allesamt mit ihren geschwungenen, farbigen Verzierungen seltsam zerbrechlich wirkten. Als sie die Sachen berührte, stellte sie fest, dass der erste Eindruck nicht täuschte: Die Sachen waren so dünn, dass sie geradezu zerbrechlich wirkten. Sie bemerkte, dass alles in den Farben der sieben Ajahs gehalten war und griff willkürlich nach dem Helm. Sollte sie ihn mal anprobieren? fragte sie sich neugierig. Er war zwar dünn und hart wie Stein, aber trotzdem ein wenig biegsam. Die wild geschwungenen farbigen Muster wirkten verwirrend für das Auge. Sicherlich war alles hier für sie gedacht, oder nicht?

„Das ist unglaublich.“ hörte sie die ehrfürchtige Stimme ihrer Begleiterin. Pevara hatte eines der Bücher in der Hand und fuhr fast zärtlich mit den Fingern über den Einband, bevor sie es aufschlug. Sie begann langsam, daraus vorzulesen, und hatte Egwene anscheinend völlig vergessen. Schnell schob Egwene den Beutel mit dem Seil und vor allem dem Trank hinter die Frauengestalt, wo er außer Sicht war.

„Es gibt so viel zu sagen, dass ich nicht weiß, wo ich beginnen soll. Wirst Du überhaupt in der Lage sein, diese Aufzeichnungen zu lesen, oder wird dieses Wissen wie so vieles andere verblassen? Wenn ich Dich sehe – Sehen ist eine alte Bezeichnung für das Wahrsagen – weiß ich nicht mehr, als dass Du diesen Ort finden musst und dass der Drache wieder zurückgekehrt sein wird.“ Pevara fügte auch im Folgenden immer wieder Erklärungen ein, die offenbar Egwenes Verständnis dienen sollten. Vermutlich sollte sie dankbar sein, dass sie überhaupt laut aussprach, was sie las.

„Ich kann Dir nicht vorschreiben, was Du zu tun hast,“ fuhr die Rote langsam fort, „aber ich empfehle Dir, unverzüglich die Rüstung des Lichts anzulegen. Sie wird direkt auf der Haut getragen und hat zahlreiche, Hmm..., Anwendungsmöglichkeiten, die nützlich sein sollten.“ Egwene nahm diese Anweisung, die nach der Inschrift oben vermutlich von der ersten Amyrlin stammte, gerne an und setzte den Helm auf. Auch er prickelte, aber sie achtete nicht darauf, sondern legte sich die Halskette um und zog dann schnell ihr Gewand und auch die leichten Schuhe aus, die sie trug. Sie zog die dünnen Stiefel von den Füßen der lebensgroßen Puppenform vor ihr und schlüpfte hinein. Sie passten wie angegossen, nachdem auch sie dieses fast kitzelnde Gefühl hervorgerufen hatten. Sie öffnete die eigentliche Rüstung mit Hilfe eines kleinen Anhängsels, das auf der Vorderseite angebracht war und praktisch ohne Widerstand herunterglitt. Wie von allein glitt jetzt die Rüstung von der Puppe herunter, als sie daran zog. Sie schlüpfte mit den Füßen zuerst durch die Öffnungen für die Beine und steckte dann ihre Arme durch die dafür vorgesehenen Löcher. Auch dieses Teil passte genau und kribbelte genauso, wie die übrigen Sachen. Sie zog den Verschluss wieder zu und schlüpfte als letztes in die Handschuhe. Sie sah an sich herunter und wünschte sich einen Spiegel: Alle Teile schienen fast wie zu einem einzigen Stück verschmolzen, das ihren gesamten Körper einhüllte. Jetzt, wo sie sie trug, war die Rüstung erstaunlich flexibel.

Die ganze Zeit über hörte sie mit halbem Ohr der Roten zu, die weiterhin vorlas, aber immer wieder auch Stellen ausließ und etwas über „Dutzende Braune“ murmelte, die sie brauchen würden. Immerhin verstand Egwene, dass diese Rüstung über spezielle Eigenschaften verfügte, sie würde schon noch dahinterkommen, was das für welche waren. Die farbigen Punkte an den Wänden – genannt wurden sie Vakara, was angeblich so ähnlich wie „Lesen“ klang – waren offenbar eine weitere Sicherheitsvorrichtung. Grüne registrierten lediglich, wer es war, der sie benutzte, gelbe würden jeden in eine Art Ohnmacht versetzen, dem der Zutritt nicht gestattet war, und rote töteten offenbar diejenigen, die sie unbefugt verwendeten. Nur sie selbst konnte anscheinend die roten Punkte bedienen, da sie jetzt als alleiniger Cai'rallen - „vermutlich so etwas wie Benutzer“ - registriert war. Da alle Punkte in diesem Raum jetzt rot waren, was ihr jetzt erst auffiel, konnte niemand ohne ihre Zustimmung diesen Ort wieder verlassen, wie sie zufrieden feststellte. Offenbar erkannten die roten Vakara nicht nur, ob sie auch wirklich am Leben war, sondern sogar, ob sie unter fremdem Einfluss durch Saidar oder Saidin stand. Erstaunlich!

Mit einem „Das heißt dann wohl...“ wandte Pevara sich zu ihr um und erstarrte. „Was fällt Dir ein, Kind!“ Sie wirkte regelrecht wütend und zugleich entsetzt, aber Egwene blieb gelassen, immerhin gehörte ihr diese „Rüstung des Lichts“ jetzt, so wie sie es sah. „Zieh das sofort wieder aus!“ Die Stimme der Roten überschlug sich fast.

Sie sagte „Ich habe sie doch nur mal anprobiert, Tochter, kein Grund zur Aufregung.“ und griff nach dem Helm, um ihn abzusetzen. Es ging nicht! Sie zog stärker, aber der Helm saß fest, schien praktisch ein Teil ihres Kopfes zu sein. Jetzt bekam sie langsam Panik, unterdrückte sie aber rasch. Ihr Ausflug zum Herzen der Burg würde kaum unbemerkt bleiben, wenn sie mit einem bunten Helm auf dem Kopf davon zurückkehrte! Sie suchte das kleine Anhängsel, mit dem sie zuvor die Rüstung geöffnet hatte, aber es war verschwunden, dann zog sie versuchsweise an den Handschuhen, aber auch die saßen unverrückbar fest, wie eine zweite Haut. Tatsächlich spürte sie die Rüstung kaum, aber sie konnte unmöglich mit ihr einfach durch die Burg marschieren, sie würde auffallen, wie ein bunter Hund! Mehr sogar! Egwene unterdrückte ein hysterisches Kichern, als sie sich Silvianas Gesicht vorstellte, wenn sie ihr so gegenübertrat, und sagte stattdessen: „Sie sitzt fest, Tochter, ich kann sie nicht wieder ausziehen. Wir haben da wohl ein kleines Problem.“ Es gelang ihr so gerade, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.

Die Sitzende presste die Lippen zusammen, ballte die Fäuste und schloss die Augen. Sie murmelte etwas Unhörbares, das vermutlich ein äußerst derber Fluch war, und öffnete die Augen wieder. Behutsam stellte sie das Buch wieder an seinen Platz und kam dann auf sie zu. „Lass mich es mal versuchen, Kind.“ Bereitwillig streckte Egwene eine Hand aus, aber die Aes Sedai bekam nicht einmal die Kante des Handschuhs zu fassen, sie war jetzt vollkommen eins mit der Rüstung. „Großartig!“ murmelte Pevara mit unterdrücktem Zorn „Und was machen wir jetzt?“

„Du schnappst Dir das Buch und suchst nach Hinweisen auf die Funktionsweise dieser Rüstung und ich versuche, selbst etwas darüber erfahren. Vielleicht kann man sie irgendwie tarnen.“ gab Egwene zurück.

Aufstöhnend verdrehte die Aes Sedai die Augen, wandte sich um und holte sich rasch das Buch wieder, um dann hektisch darin zu blättern.

Sie selbst warf einen genaueren Blick auf die Rüstung und bemerkte mehrere ins Muster eingebundene verschiedenfarbige Punkte, die kaum auffielen, aber, als sie mit der Hand leicht darüberstrich, deutlich spürbar waren. Sie war sehr bedacht, keinen versehentlich auszulösen, indem sie zu fest darüberstrich.

Ein roter lag über ihrem Herzen und ein grauer mitten auf dem Bauch. Außerdem fand sie einen weißen am linken Oberarm, einen blauen auf der rechten Schulter und einen braunen seitlich am rechten Oberschenkel. Sie drückte sie noch nicht, sondern untersuchte erst die Handschuhe auf vergleichbare Punkte. Rechts war an der Innenseite des Handgelenks ein gelber Punkt zu sehen und links ein grüner. Sie fuhr über den Helm, aber an ihm spürte sie keine Erhebungen und auch an den Stiefeln konnte sie keine entdecken. Das war kaum überraschend, hatte sie doch sieben verschiedenfarbige Punkte an der genauso gefärbten Rüstung gefunden. Zuletzt fuhr sie mit den Fingern über die Halskette und war überrascht, als diese nur lose auf ihrer Haut lag. Sie nahm sie ab und betrachtete sie nachdenklich. Warum konnte sie die Kette jederzeit ablegen, aber nicht den Rest? Schulterzuckend legte sie sie wieder um, wenn sie keinen Weg fand, die Rüstung zu verbergen, spielte die Kette auch keine Rolle mehr. Sie könnte natürlich versuchen, eine Tarnung zu weben, aber das war sicherlich keineswegs wirksam genug für ihre Bedürfnisse (beim nächsten Besuch bei Silviana würde eine Tarnung spätestens auffallen) und außerdem wollte sie Pevara in dieses Gewebe nicht einweihen, sie kannte auch so schon genug ihrer Geheimnisse.

Sie blickte nachdenklich zum Kristall und griff nach Saidar, nahm zuerst nur so wenig auf, wie möglich, aber als sie die tödliche Verlockung nicht spüren konnte, die sie erwartet hatte, zog sie mehr der Einen Macht heran. Und immer mehr! Sie wusste, dass die Wirkung des Tranks noch nicht völlig abgeklungen war, und doch hielt sie schon mehr Saidar, als sie normalerweise bei voller Stärke halten konnte! Leben pulsierte in ihren Adern wie noch nie zuvor. Sie unterdrückte energisch den Impuls, die Stärke zu testen, die sie erreichen konnte, jede Schwester in der Burg würde sie spüren, wenn sie es übertrieb. Nachdenklich nahm sie die Kette ab und sofort spürte sie einen Großteil Saidars weichen. Also war die Kette ein Angreal, vielleicht sogar ein Sa'angreal! Und sie wirkte nur, wenn man sie trug und nicht, wenn man sie in der Hand hielt! Von so etwas hatte sie noch nie gehört. Rasch legte sie die Kette wieder um, Pevara hatte nicht gemerkt, dass sie sie abnehmen konnte, und so sollte es vielleicht auch besser bleiben.

Egwene blickte auf ihre Handschuhe. Funktionen, die oft gebraucht würden, wären sicher am sinnvollsten dort untergebracht. Vermutlich war es ausreichend sicher, sie zu testen. Angesichts der drastischen Folgen der gelben Vakara der Zugänge, drückte sie lieber den grünen. Sie staunte, als eine grün leuchtende Darstellung der Weißen Burg vor ihr in der Luft erschien. Sie schien aus fein gewobenen Strängen aus Feuer zu bestehen, mit kleinen Anteilen von Erde – für die Farbe, wie Egwene vermutete. Der seltsame grüne Turm zeigte vor allem im unteren Teil einige Punkte, die in hellerem Licht strahlten. Sie ignorierte das verwunderte „Was hast Du getan?“ von Pevara, die mit dem Buch in der Hand nähertrat, und versuchte stattdessen, die Punkte näher in Augenschein zu nehmen. Sofort glitten sie näher heran und der Rest der Burg wurde zu undeutlichen Schemen, die schnell zu blass wurden, um sie noch zu erkennen, der klar erkennbare Bereich maß etwa einen Schritt im Durchmesser und hatte die Form einer Kugel. Sie bemerkte, dass einige der Punkte sich bewegten und verstand, das mussten Schwestern sein, die zu irgendeiner Zeit den grünen Knopf an der Luke zur Aussichtsplattform gedrückt hatten. Sie konzentrierte sich intensiv auf den obersten der Punkte und abermals veränderte das leuchtend grüne Gewebe den Blickwinkel. Jetzt konnte sie deutlich den Raum ausmachen, in dem der Punkt sich befand, nur dass es gar kein Punkt war: Ein grün leuchtendes Abbild Elaidas ging deutlich sichtbar in dem Raum auf und ab. Sie streckte ihre Hand aus und fuhr damit mitten durch das leuchtende Abbild ohne dadurch Spuren zu hinterlassen. Wenn das Bedienen dieser Abbildung der Burg mit Hilfe von Gedanken erfolgte, konnte sie vielleicht auch damit irgendwie verhindern, dass Elaida jemals wieder die Plattform betrat!

Plötzlich begann Elaidas Abbild zu verschwinden und sofort wieder aufzutauchen. Immer wieder, in etwas schnellerem Rhythmus als ihr eigener Herzschlag. Egwene konzentrierte sich darauf, ihr keinen Zutritt zu gewähren und jetzt färbte sich das Abbild rot, wobei es weiterhin verschwand und wieder auftauchte. Sie ignorierte das erschrockene „Was machst Du da, Kind?“ von Pevara und konzentrierte sich darauf, dass es so genau richtig war. Das Abbild Elaidas war jetzt ständig rot und sie musste grinsen, als sie erneut den grünen Vakara drückte und das Abbild erwartungsgemäß verschwand.

„Ich habe für Elaida gerade den Zutritt zum Herzen der Burg gesperrt, Tochter. Anscheinend war sie auch schon mal ganz oben auf der Burg. Oder sagen wir, fast ganz oben.“ erklärte sie zufrieden, wenigstens klang sie dabei so ruhig wie zuvor. „Mal sehen, wozu der gelbe Vakara gut ist.“ fügte sie hinzu und drückte ihn. Diesmal war das Abbild der Weißen Burg gelb, aber ansonsten unterschied es sich nicht von dem vorigen ... oder? Waren im grünen Abbild auch der Mittelschacht, durch den sie gekommen waren, und dessen Seitengänge zu sehen gewesen? Sie glaubte nicht. Und wo waren all die Punkte, die sie vorher gesehen hatte? Außer Elaidas rotem war nur ganz unten, deutlich unterhalb der von außen sichtbaren Bereiche der Weißen Burg, ein einziger gelber Punkt heller als die umgebenden Linien. Sie konnte sich denken, wen sie sehen würde und wurde nicht enttäuscht, als der Punkt näherkam, weil sie sich darauf konzentrierte. Pevaras Abbild stand völlig still und musterte sie genauso verblüfft, wie die echte. Zwar hatte sie im Moment nicht vor, ihr ebenfalls den Zutritt zu sperren, aber es würde nicht schaden, so zu tun. Sie konzentrierte sich auf Zweifel und sofort begann Pevaras Abbild ebenso regelmäßig zu verschwinden, wie vorher Elaidas. Dann blickte sie der Sitzenden der Roten in die Augen und fragte in scharfem Tonfall „Warum warst Du für meine Bewachung eingeteilt, Pevara?“

Die Angesprochene öffnete und schloss ein paar Mal den Mund, während sie von ihrem Abbild zu Egwene blickte und zurück. Dann riss sie sich sichtlich zusammen und schluckte, bevor sie antwortete. „Ich habe mit Leane gesprochen.“ begann sie zögernd. „Leane sagte mir... sie behauptete...“ Die Aes Sedai riss sich abermals zusammen, nahm die Schultern zurück und sprach mit festerer Stimme weiter: „Sie sagte, Du hast Informationen über die Schwarze Ajah für mich, wollte mir selber aber keine geben. Außerdem soll ich Dir ausrichten, dass es nachlässt.“

„Was lässt nach?“ fragte Egwene verwirrt.

Pevara hob eine Braue. „Ich habe keine Ahnung, Kind. Leane sagte, ich soll Dir das ausrichten.“

Es lässt nach. Konnte Leane damit die Wirkung des Tranks meinen? Sie selbst hatte ja auch den Eindruck gehabt, der Tee wirke nicht mehr so stark wie zu Beginn. Aus ihrer Zeit bei Nynaeve wusste sie, das einige Kräuter mit der Zeit in ihrer Wirkung nachließen, vielleicht war es bei Spaltwurzel auch so. Leane hatte also Pevara zu ihr geschickt, um mehr über die Schwarze Ajah zu erfahren? Es interessierte sie sehr, zu erfahren, was diese Sitzende der Roten darüber wusste.

„Du glaubst also, dass die Schwarze Ajah existiert?“ fragte sie ruhig. Jetzt glaubte sie zu verstehen, warum Pevara der Prüfung durch den Zwang so schnell zugestimmt hatte: Weil sie von den Schwarzen Ajah wusste.

„Ich weiß es.“ lautete die deprimiert klingende Antwort. Als Egwene einfach weiterhin abwartete und sie erwartungsvoll anblickte, fuhr sie schließlich fort. „Sie sind hier, in der Burg. Bestimmt dreißig, vielleicht auch vierzig von ihnen.“

„Mehr als ich erhofft habe, aber weniger, als erwartet.“ gab sie zurück. „Namen?“

„Ich kenne nur vier hier in der Burg. Vielleicht könntest Du...“ sie deutete auf ihr gelbes Abbild und Egwene zögerte nicht. Das Abbild wurde wieder stabil und Egwene ließ es rasch verschwinden. Sie holte das grüne Abbild zurück und suchte die Schwarzen, die Pevara ihr nannte. Nur Talene – eine Sitzende! - war anscheinend schon oben gewesen und es dauerte nicht lange, ihr genau wie Elaida den Zutritt zu verwehren. Anscheinend hielt sich Talene derzeit sicherheitshalber in einem der Kellerräume auf, weil die Schwarze Ajah wegen ihr bereits Verdacht geschöpft hatte. Sie zählte ihrerseits die Namen aller Schwarzen Ajah auf, die sie kannte und fragte Pevara dann nach weiteren, die nicht in der Burg waren. Zumindest Temaile war der Roten bereits bekannt, weil sie offenbar zu Talenes Herz gehörte.

Als sie sich einmal zum Sprechen entschlossen hatte, schien die Rote mehr als willig, ihr ausführlicher zu berichten, aber Egwene unterbrach sie bald mit dem Hinweis, der Rest habe noch Zeit, bis sie sich auf den Rückweg machten. Dann fragte sie nach Hinweisen für die Verwendung der Rüstung. Immer ein Problem nach dem anderen und im Moment ging die Rüstung eindeutig vor. Es war zweifelhaft, ob sie noch rechtzeitig zum Mittag bei Silviana wäre, und sie hegte keinesfalls den Wunsch, heute ein zweites Mal zu spät zu kommen.

„Es gibt da eine Stelle, die „der graue Schleier verhüllt“ heißen könnte und im Zusammenhang mit der Rüstung steht, vielleicht hilft das weiter.“ Sie war erfreut über den sachlichen Tonfall ihres Gegenübers und sah an sich herab. Verhüllen klang genau richtig. Sie drückte mit der flachen Hand auf den grauen Vakara mitten auf ihrem Bauch, als daraufhin nichts geschah, nahm sie stattdessen den Zeigefinger. Sofort war sie nackt – oder zumindest schien es so.

Pevara blinzelte überrascht und sah zur Seite, aber sie selbst empfand die Situation nicht als besonders peinlich, in Shienar und den Dampfzelten der Aiel hatte sie deutlich seltsamere Situationen erlebt, wenn plötzlich Männer hereinplatzten. Der rote, der braune und der graue Vakara waren noch schwach zu erkennen, stellte sie rasch fest, indem sie ihren Körper eingehend musterte. Die übrigen waren mit der Rüstung verschwunden. „Schon besser.“ stellte sie fest und griff nach ihrem Gewand.



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