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Wir schreiben den 18. Nesan Einleitung Der Autor RJ's Blog Buchübersicht Buchdetails Handlung Kurzgeschichte Weitere Produkte Enzyklopädie Personen Heraldik Alte Sprache Prophezeiungen Namensgenerator
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Alleingang Ein frostiger Schauer überlief Egwene, als die Leuchtscheibe sie außer Sicht der wimmernden Verlorenen trug. Es schien, dass sie noch gerade zur rechten Zeit zurückgekehrt war. Als Mesaanas verzweifelt hoffnungsvoller Blick in pures Entsetzen umschlug, hatte sie nur so gerade noch rechtzeitig reagiert. Mit wem hatte sie gerechnet? Dem Dunklen König persönlich, der kam, um sie zu retten? Es sah tatsächlich fast so aus. Sie war sicher, dass die Frau in der Absicht, sich lieber umzubringen als ihr zu unterwerfen, und im vollen Bewusstsein der Folgen nach Saidar gegriffen hatte. Sie hatte nicht Egwene al'Vere bekämpfen, sondern sich wirklich und wahrhaftig umbringen wollen! Hatte sich geradezu auf den Kristall geworfen, als hinge ihr Leben davon ab, als würde sie nicht in den Tod, sondern die Freiheit gehen. Nein, auch nicht in die Freiheit, korrigierte sie sich, sondern direkt zu ihrem Herrn und Meister, dem Dunklen König. Mesaana schien wirklich geglaubt zu haben, direkt beim Dunklen König zu landen, wenn sie starb! Sie war völlig verzweifelt gewesen, weil sie nicht gestorben war. Zwar versprach der Dunkle König, der ja auch Herr des Grabes genannt wurde, bekanntlich das ewige Leben, aber sie hätte niemals damit gerechnet, dass so etwas wirklich möglich wäre, wie konnte Mesaana das wirklich glauben? Schließlich hatte die Verlorene zwar völlig verzweifelt, aber nicht wahnsinnig auf sie gewirkt, hatte sie also womöglich einen guten Grund an ihre Wiedergeburt durch den Dunklen König zu glauben? Waren vielleicht sogar - sie schreckte innerlich vor der bloßen Vorstellung zurück - schon andere der Verlorenen wieder ins Leben zurückgekehrt? Sie dachte an all die Verlorenen, die bereits getötet worden waren und der Gedanke an Halima Saranov sprang förmlich in ihr Bewusstsein. Sie könnte einer der getöteten männlichen Verlorenen gewesen sein und dann, warum auch nicht, statt eines männlichen einen weiblichen Körper zugeteilt bekommen haben. Einen durchaus beeindruckenden Körper dazu, wie sie zugeben musste, der Dunkle König schien zumindest nicht geizig zu sein, dachte sie in einem Anflug von Galgenhumor. Der zweite Gedanke, der sie fast noch mehr erschreckte, als dieser erste, und der sie vollkommen überrascht hatte, war es, dass Mesaana eindeutig Angst vor ihr gehabt hatte. Pure, nackte Angst! Es sollte sie eigentlich mit Genugtuung erfüllen, wenn sogar die Verlorenen sie fürchteten, aber das tat es nicht. Noch vor zwei Jahren hätte der Gedanke, sich Mesaana stellen zu müssen, sie in Pudding verwandelt, aber sie glaubte nicht, dass sie jemals so von Panik erfüllt gewesen wäre, dass sie sich hätte umbringen wollen. Moghedien hatte einen Heidenrespekt vor ihr gehabt und auch oft Angst, aber Mesaana war völlig in Panik geraten, nur weil sie den Raum betreten hatte! Sie begriff es einfach nicht, konnte es nicht fassen. Die Verlorene kannte all diese merkwürdigen Gerätschaften, die mit Hilfe der Macht die erstaunlichsten Dinge vollbrachten, aus dem Zeitalter der Legenden. Die Umgebung musste ihr vertrauter erscheinen, als es bei ihr selbst vermutlich je der Fall wäre. Im Grunde lief sie selbst nur nicht mit großen Augen und offenem Mund durch die Gegend, weil sie keine Zeit dafür hatte. Das brachte ihr zu Bewusstsein, dass sie schon eine Weile regungslos im Schacht schwebte, ohne sich zu rühren. Schnell drückte sie den nächsten Vakara nach oben. Sie konnte es sich nicht leisten, einfach herum zu stehen und Löcher in die Luft zu starren. Zwei Gedanken beanspruchten plötzlich gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit: Der Dunkle König musste Sinn für Humor haben, wenn er wirklich Männer in Frauenkörper steckte und sie selbst versetzte die Verlorenen in Todesangst. Sie stieß unwillkürlich ein ungläubiges, hohes Kichern aus. Die Welt schien auf dem Kopf zu stehen! Egwene sah an sich herab, betrachtete staunend ihre neuen Handschuhe, die in den Farben aller Ajahs glitzerten und alles mögliche waren, aber keine normalen Handschuhe. Sie war die Amyrlin, trug die Rüstung des Lichts! Vielleicht sollte sie... Rasch rief sie das Grüne Bild der Weißen Burg auf und konzentrierte sich auf den Saal der Novizinnen. Sie sah dort mehrere grüne Gestalten, sowie eine gelbe, Beonin und eine rote, Pevara. Alle Verbündeten, die sie für ihren Angriff hatte gewinnen können und deren Bild registriert war, befanden sich dort, also waren vermutlich auch die übrigen dort oder würden es zumindest bald sein. Sie erinnerte sich, wie hilflos sie allesamt gewesen waren, als sie gegen Mesaana angetreten war, die ein Angreal besaß. Sie wusste nicht, wie stark selbst ein voller Zirkel mit Angrealen und Sa'angrealen auf diese Entfernung wirken würde und es war undenkbar, einige davon an den eigentlichen Kampfort mitzunehmen, wo sie in die falschen Hände geraten konnten. Durfte sie es wirklich verantworten, diese offenbar zumindest teilweise verwirrten und verängstigten Frauen mit in diese Schlacht zu nehmen, wenn es einen anderen Weg gab? Als sie ihren sorgfältigen Plan geschmiedet hatte, war sie noch davon ausgegangen, mit purer Kraft und Gewalt gegen die Schwarze Ajah vorgehen zu müssen. Das war nicht länger der Fall, nicht in der Burg und vermutlich auch nicht in ganz Tar Valon, denn sie konnte jederzeit... Sie fuhr mit der Hand sanft über die Stelle, an der ihr Herz aufgeregt in ihrer Brust schlug. Warum sollte sie das Leben von Schwestern riskieren, wenn es eine weit effektivere Methode gab, mit der Schwarzen Ajah fertigzuwerden? Natürlich wusste sie nicht genau, wo das Treffen stattfinden würde, aber es gab vielleicht trotzdem eine Möglichkeit. Sie vergrößerte das Abbild der Burg und suchte nach Schwestern, die sich an einem unüblichen Ort befanden. Ihr fiel auf, dass fast alle grünen Punkte sich im Quartier einer der Ajahs befanden und fand schnell heraus, dass alles Grüne Schwestern waren. Tatsächlich schien jede einzelne Grüne ein Abbild zu besitzen, stellte sie verblüfft fest. Doch sie hatte jetzt keine Zeit, sich über den Grund dafür zu wundern, also hielt sie nach weiteren Ansammlungen Ausschau. Sie fand das Gesuchte irgendwo in den Kellern tief unter der Burg, wo fünf grün leuchtende Gestalten, darunter vier angebliche Grüne, im selben großen Raum ganz still an den Wänden standen und sehr ernst wirkten. Das war mit Sicherheit die Versammlung. Sie ließ alle zu rot wechseln, sicher war sicher. Es gelang ihr reibungslos, ihre Ausbildung als Träumerin hatte sie gelehrt, ihre Gedanken sehr streng unter Kontrolle zu haben. Egwene vergrößerte den dargestellten Ausschnitt, damit sie erkennen konnte, wo der nächstgelegene Zugang zu finden wäre. Die Versammlung war offenbar in vollem Gange und sie durfte jetzt keine Zeit mehr verlieren, sonst käme sie vielleicht doch noch zu spät und sie würden entkommen. Durch die Abwesenheit von gleich vier Schwarzen Schwestern waren sie schließlich gewarnt, dass etwas vorging. Sie musste schnell den direktesten Zugang finden, wechselte die Ansicht zu gelb und konzentrierte sich auf die Suche danach, während sie mit ihrem Blick den gelben Strängen des Schachtes folgte, die im grünen Abbild fehlten. Als die Leuchtscheibe plötzlich ohne Vorwarnung nach unten glitt, war sie so überrascht, dass sie fast Saidar verlor, bevor sie sich wieder fing. Sie musste eine eine Art Suchfunktion aktiviert haben, überlegte sie. Die Scheibe glitt wieder einen Halt herunter und dann selbständig in den Schacht zu ihrer linken. Sie verdrängte alles übrige aus ihrem Verstand und überlegte, wie sie vorgehen würde. Im Grunde änderte sich kaum etwas, wenn sie allein ging. Allerdings genoss sie es, schweigen zu können, statt für die Schwestern Erklärungen abgeben zu müssen oder deren aufdringliche Fragen zu beantworten. Es war eigentlich viel einfacher, das allein durchzuziehen. Egwene stieg aus dem Schacht, nachdem sie das auffällige Bild verschwinden gelassen und sich den Weg vorerst gut genug angesehen hatte, den sie nehmen musste. Sie achtete nicht auf die verblüfften Blicke zweier Behüter, die sich mitten im Korridor zu ihr umwandten, dann erstarrten und ihre Schwerter halb gezogen hatten, das aber nicht zu merken schienen. Verflixt, sie hatte vergessen, die Rüstung verschwinden zu lassen! Ohne den beiden die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, schritt sie an ihnen vorbei, wie es einer Amyrlin zukam. Die beiden schüttelten nur die Köpfe und gingen dann weiter, wobei sie sich leise unterhielten. Sie grinste, als sie erkannte, dass die beiden sie für eine längst verstorbene Frau halten mussten, die nur zufällig Ähnlichkeit mit einer gewissen Novizin hatte. Heute war anscheinend sogar der Schrecken der Toten noch zu etwas gut. Sie ließ die Rüstung des Lichts unverändert, als sie weiterging. Danach traf sie nur noch einen Diener - der zwar kurz überrascht war, aber offenbar die gleiche Vermutung hegte wie die Behüter - bevor sie die richtige Kellertreppe erreichte. Sie schritt rasch aus und vergewisserte sich gelegentlich, dass sie den richtigen Weg nahm, wenn sie an eine Abzweigung kam. Das Bild brauchte nicht viel Saidar, wenn sie es ruhen ließ und es war praktisch, dass es zugleich etwas Licht spendete, also ließ sie es schließlich bestehen, weil die roh behauen wirkenden Gänge hier nicht mehr erleuchtet waren. Es gab so viele dieser hohen Korridore und niedrigeren Gänge, dass sie sich ohne ihren „Reiseführer“ sicherlich hoffnungslos verlaufen hätte. Sobald sie sich in unmittelbarer Nähe der Versammlung wusste, wob sie ein Gewebe, das die Seanchan verwendeten, um Fallen aufzuspüren, kehrte es um und ging langsam weiter. Das Unbehagen, ein Gewebe zu verwenden, welches sie als Damane erlernt hatte, verblasste heute Nacht vor der Notwendigkeit. Das Gewebe brauchte zwangsläufig so wenig Saidar wie möglich, es durfte ja nicht selbst auffallen oder die Falle auslösen. Natürlich hielt sie genug Saidar, um selbst feinste Stränge erkennen zu können, aber es erschien angebracht, alle nur möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Nur wenig später betrat sie den Gang, in dem der Versammlungsraum sich befinden musste, und wurde noch langsamer. Niemand durfte ihre Anwesenheit zu früh bemerken, es war wahrscheinlich, dass einige der Schwarzen Schnell Reisen konnten und eine Flucht musste völlig ausgeschlossen werden. Erneut war sie dankbar, dass keine Aes Sedai dabei waren, denn mit Sicherheit hätte sie es ihnen noch extra erklären müssen, zumindest einigen. Sie spürte, wie der zarte Strang aus Erde, der als unwahrscheinlichster Bestandteil von Fallen die Spitze bildete, reagierte. Er war auf etwas gestoßen, das nicht aus Erde gewoben war, aber seine Struktur führte eben dazu, dass er dennoch reagierte - bevor die Stränge sich berührten. Zwar konnte sie kein Gewebe erkennen – was seltsam war, wussten die Schwestern der Burg doch nicht, wie man Gewebe umkehrte, vielleicht nutzten sie ein spezielles Ter'angreal – und konnte auch nicht sagen, was es tun würde, aber sie hatte keinerlei Bedürfnis, das auszuprobieren. Sie blieb stehen und erforschte das Ausmaß der Falle mit vielen weiteren Strängen aus Erde, die genauso fein waren. Natürlich wob sie immer nur einen zur Zeit und kehrte ihn dann um, bevor sie mit dem nächsten begann, damit es nicht auffiele. Wie erwartet, bedeckte die Falle den gesamten Korridor. Damit war zu rechnen gewesen und sie untersuchte sofort die Wand zu ihrer linken, wobei sie weiterhin neue Stränge aus Erde wob und umkehrte. Als sie ihren ursprünglichen Schlachtplan entworfen hatte, hatte sie unbemerkt so nahe wie möglich herankommen wollen, und sie hatte keinen Grund, sich an diesen Teil des Plans jetzt mehr nicht zu halten. Inzwischen hielt sie mindestens zwei Dutzend umgekehrte Stränge aus purer Erde und sie lenkte sie auf die Steine der Wand. Zufrieden sah sie zu, wie Staub in hohem Tempo von der Wand fiel und so innerhalb weniger Minuten einen Durchgang freilegen würde. Die Menge an Saidar, die dabei zu spüren war, war so gering, dass sie selbst es kaum feststellen konnte. Mit dem Abbild vergewisserte sie sich ständig, dass die Schwarzen Ajah sich nicht rührten, und kletterte durch das Loch, sobald es groß genug war. Erneut suchte sie sorgfältig nach Fallen, fand in dem von Staub bedeckten Raum, der vollkommen leer war, aber keine. Sie ließ die Stränge aus Erde fahren, trat an die rechte Wand heran und nahm mehr Saidar in sich auf, während sie die Hand auf ihr Herz legte. Es gab keinen Grund mehr, zu warten. Sie atmete tief durch und begann.
Alviarin zwang sich mühsam zur Geduld. Bisher war diese Versammlung nicht der große Erfolg gewesen, den sie sich versprochen hatte, aber das Beste kam ja bekanntlich zum Schluss. Sie würde für diese Schwestern bald auf gleicher Höhe stehen wie die Auserwählten und war äußerst zufrieden damit, dass es heute endlich so weit war. „Du behauptest also, dass Pevara sich einfach in Luft aufgelöst hat?“ fragte sie ironisch. Die Frau vor ihr warf einen beunruhigten Blick auf den schmalen Haarreif, der als Zeichen ihres Amtes an einer Kette an Alviarins Brust hing, und schluckte. „Ich weiß doch auch nicht, wie sie das gemacht hat, Erste Dienerin.“ sagte sie furchtsam und fuhr dann eilig fort. „Sie ist mit dem al'Vere-Mädchen bis ganz nach oben gegangen, da bin ich absolut sicher. Entweder sie oder das Mädchen haben dort sogar Saidar gelenkt, das konnte ich eindeutig spüren, auch wenn es nicht sehr stark war. Weil ich nicht auffallen wollte, habe ich fast eine halbe Stunde gewartet, bevor ich selbst hinaufging, Erste Dienerin, und als Ausrede wollte ich...“ „Ja, ja.“ unterbrach sie ungeduldig den Bericht, als die Frau begann, sich zu wiederholen, „eine tolle Ausrede, wirklich. Also, raus damit, wie ist sie von da oben wieder runter gekommen?“ „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“ kam es kleinlaut zurück. „Als ich den Zugang aufbekommen hatte und hinaustrat, befand sich dort nichts außer der hohen Kuppel und der Aussicht über die Stadt.“ „Was für eine Kuppel?“ kam es von einer der anderen, während eine zweite rief: „Sie lügt, es gibt da oben keine Kuppel!“ Von einigen weiteren kam ein zustimmendes Nicken. Als einzige der Anwesenden konnte sie die Reaktion im Gesicht der Befragten erkennen. Schreck und Überraschung wirkten nicht gespielt, als sie beteuerte: „Es gibt dort oben eine Kuppel! Ich schwöre es! Sie ist ganz durchsichtig, genau wie die Pfeiler außen herum, und mindestens zwanzig Spannen hoch und...“ Mit erhobener Hand gebot sie ihr Einhalt. Dann wandte sie sich ruhig an eine der Schwestern, die ihr widersprochen hatten. „Wie sieht es dort oben aus?“, fragte sie ruhig. Mit kalter Stimme antwortete die Angesprochene ohne zu zögern. „Ovale umgeben den Rand und eine große Säule steht in der Mitte. Hohe, bogenförmige Verstrebungen verbinden jedes Oval mit der Säule und alles ist genauso weiß, wie der Rest der Burg.“ Zustimmendes Nicken bei vier der anderen. Alviarin griff nach dem Haarreif, der auf ihrer Brust hing. Unter der schwarzen Kapuze stahl sich ein unbemerktes Lächeln auf ihre Lippen. Dies würde Spaß machen.„Wir werden schnell herausfinden, wer von Euch es wagt, hier zu lügen.“, stellte sie ruhig fest. Vier ihrer Schwarzen Schwestern waren verschwunden und Pevara hatte damit zu tun. Das war so gut wie sicher. Ordine war offiziell natürlich ebenfalls eine Rote, sonst hätte sie Pevara nicht beschatten können, aber es machte sie auch verdächtig. Sie war zwar durchaus davon überzeugt, dass Ordine zumindest nicht bewusst gelogen hatte, aber es war besser, wirklich sicher zu sein. Die Frau vor ihr wurde sehr blass, aber immerhin wusste sie es besser, als Einwände zu erheben. „Öffnet Euch der Verknüpfung!“, befahl sie, aber bevor der Hohe Rat dieser Anweisung folgen konnte, war von einem Moment auf den anderen Saidar verschwunden und im selben Moment explodierte eine der umgebenden Wände lautstark und jemand trat durch die entstandene Lücke herein! Einen Herzschlag später spürte sie unsichtbare Fesseln um sich herum! Sie versuchte sofort nach der schweren Süße der Wahren Macht zu greifen, aber da war nichts! Nur Augenblicke später kehrte Saidar zurück und als sie sich umblickte, traute sie ihren Augen kaum: Sämtliche ihrer Schwarzen Schwestern waren mit Strängen aus Luft gefesselt, genau wie sie selbst. Und genau wie sie selbst waren alle abgeschirmt. Egwene al'Vere stand völlig gelassen und allein in der Mitte des Raumes, wo sie sich gelassen umblickte! Sie trug einen bunten Helm und Handschuhe, aber sie war es. Die Abschirmung war zu stark, als dass sie mit Hilfe Saidars sich hätte befreien können, aber darauf war sie ja nicht mehr angewiesen. Erneut griff sie nach der Wahren Macht des Großen Herrn und diesmal kam sie. Erfüllte sie mit tosendem Leben und fegte die Abschirmung fort, bevor sie einen Herzschlag später auch die Fesseln zerriss. Das Mädchen hatte noch nicht bemerkt, dass sie frei war, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Fehlen der Gewebe sie entlarvte. Es würde keinen Zweck haben, einige der anderen zu befreien. Jede der anderen würde auf der Stelle Saidar ergreifen und dann würden sie mit Sicherheit bemerkt und sowohl die Wahre Macht als auch Saidar würden wieder verschwinden, da war sie sicher. Die Anführerin der Schwarzen Ajah erinnerte sich lebhaft an das Leuchtfeuer der Einen Macht, das man überall in der Burg am frühen Abend gespürt hatte, und erstarrte innerlich. Sie hatte diese Geschichte mit den Rebellen keinen Augenblick lang geglaubt, keine von denen war für so etwas stark genug. Sie hatte gewusst, dass es Mesaana gewesen sein musste, aber wenn dieses verdammte al'Vere-Mädchen hier war und offenbar die Eine Macht hatte lenken können, obwohl es ihr selbst zuvor so vorkam, als wäre Saidar verschwunden, musste das Mädchen sie besiegt haben. Eine der Verlorenen besiegt! Wenn schon Mesaana gegen das verdammte Mädchen verloren hatte, würde sie selbst... Alviarin bemerkte, dass das Mädchen überrascht zu ihr herübersah und tat das einzige, was sie tun konnte. Sie wob blindlings ein Tor, sprang hindurch und ließ es auf der Stelle wieder fallen, während sie wild die Wahre Macht hinter sich schleuderte. Die ganze Welt schien sich für einen unendlich langen Moment zu spalten, aber als das Tor fort war, kam sie schwankend wieder zum Stillstand. Als sie erkannte, wo sie sich befand, stockte ihr der Atem und sie ließ die Wahre Macht auf der Stelle wieder los.
Als Egwene sich vergewisserte, dass sich keine der Schwarzen Ajah rühren konnte, fiel ihr verblüffenderweise auf, dass Alviarin, die fast allein in der Mitte des Raumes stand, nicht mehr gefesselt war. Das war zwar völlig unmöglich, aber sie war schon zu vielen unmöglichen Dingen begegnet, um sich jetzt davon einschüchtern zu lassen. Sofort bereitete sie mit aller Kraft ein Angriffsgewebe vor, aber sie erkannte, dass es zu spät war: Alviarin hatte ein Tor zu einem nebligen Tal an einem feurig glühenden Berghang geöffnet und war bereits dabei, hindurch zu springen. Dabei hielt sie nicht einmal Saidar! Dennoch schleuderte Egwene ihr Gewebe und es traf auf etwas Unsichtbares. Sie bemerkte kaum, wie das Tor sich wieder schloss, denn plötzlich schien die Welt zu erbeben. Sie fühlte sich auseinander gezogen und prallte dann heftig wieder mit sich selbst zusammen. Die Erschütterung war so stark, dass sie Saidar verlor, aber sobald das Schwindelgefühl begann, sich zu legen, umarmte sie Saidar wieder und seufzte vor Erleichterung. Sie konnte die Eine Macht noch lenken, war nicht ausgebrannt. Sie war fast genauso erleichtert, die Schwarzen Schwestern noch immer abgeschirmt, gefesselt und geknebelt zu sehen. Es war richtig gewesen, die Stränge sofort abzubinden, auch wenn sie an der Sinnhaftigkeit dieser selbstauferlegten Vorsichtsmaßnahme ihre Zweifel gehabt hatte. Als sie das grüne Bild aufrief, sah sie überrascht, wie ein grüner Punkt sich ihrer Position näherte. Sie holte ihn näher heran und sah verblüfft, dass es ein Mann war, offenbar ein Behüter. Die Behüter! Sie hatte alles so genau geplant, Nicola hätte sich während des Angriffs um die Behüter kümmern sollen, die zwangsläufig hier auftauchen würden, zusammen mit Meister Benakra, aber Nicola konnte das nicht einmal wissen, sondern wartete mit allen übrigen im Saal auf ihre Befehle. Sie hatte zu wenig Zeit gehabt, schien immer zu wenig Zeit zu haben. Ein schnaufendes Geräusch ließ sie herum fahren und sie erkannte, dass es eine der Grünen war, die nicht verblüfft das Abbild der Burg, sondern entsetzt den Mann anstarrte, der gleich hier sein würde. Dann richteten sich die meisten der wütenden Augenpaare, die sie umgaben, wieder direkt auf sie. Viele der Schwarzen hatten so wie Alviarin ihre Kapuzen verloren. Ihren Blicken nach zu urteilen hätte sie der Wiedergeborene Drache persönlich sein können. Doch dafür war keine Zeit, sie brauchte sofort Verstärkung, damit ihr nicht doch noch eine entkam. Und sie brauchte sie schnell, denn die ersten Behüter wären sicher bald hier und jede Ablenkung war jetzt eine zu viel. Sie wob ein Tor auf eine der Galerien des Saals der Novizinnen und hielt es fest, während sie sich zwei Schritte weiter über die Brüstung lehnte. Hunderte Blicke richteten sich erwartungsvoll auf sie, darunter einige von Männern in Dienstbotenkleidung. Es herrschte absolutes Schweigen. „Wie ihr sicher alle bemerkt habt, hat es eine kleine Planänderung gegeben. Tarna, Saerin, Beonin, Silviana, ihr kommt mit mir. Der Rest beginnt jetzt mit der Übung, nehmt so viel Saidar auf, wie ihr wollt. Wo wollt ihr hin?“ fügte sie streng hinzu, als die vier Benannten sich zur Tür wandten „So geht es schneller.“ Sie wob eine Treppe aus Luft bis vor ihre Füße und band sie ab. Von den vieren wirkte nur Beonin nicht mürrisch, als sie sich wieder umwandten und begannen, zu ihr hoch zu steigen. Egwene wartete nicht, bis sie bei ihr ankamen, sondern trat sofort durch das Tor zurück in den Keller. Es wäre töricht, die Gefangenen jetzt noch aus Unachtsamkeit zu verlieren. Sie wusste, dass abgebundene Schilde durchbrochen werden konnten, auch wenn die Schwarzen Ajah es vermutlich nicht wussten. Rasch zählte sie durch. „Ich muss sagen, Alviarin hat sich besser gehalten als Mesaana, und mit Sicherheit besser als ihr vierunddreißig. Ich frage mich, wie sie das gemacht hat, aber wenn ihr das wüsstet, wärt ihr jetzt bestimmt nicht mehr hier.“ Sie verstummte wieder, als die übrigen auf der Galerie ankamen und musste ein Gähnen unterdrücken. Nachdem die Schlacht jetzt vorbei war, legte sich ihre Aufregung allmählich und die Müdigkeit kehrte verstärkt zurück. Über sich spürte sie jetzt, wie große Mengen Saidars gelenkt wurden. Tarna war die erste, die durch das Tor trat, aber die anderen folgten ihr dichtauf. Keine von ihnen achtete auf das Tor, das sich hinter ihnen wieder schloss, weil alle vier Aes Sedai die Frauen an den Wänden mit intensiven Blicken musterten. Tarna war es auch, der es am besten gelang, ruhige Aes-Sedai-Gelassenheit vorzugeben, nur ihre Stirn war leicht in Falten gelegt. Sie ergriff das Wort, bevor ihr jemand die Initiative stehlen konnte. „Saerin, Du gehst vor die Tür und kümmerst Dich um die Behüter, die gleich hier auftauchen werden.“ Die Braune machte sich eilig auf den Weg, ihr Verlangen nach dem Buch musste wirklich stark sein. „Tarna, stimmst Du mir zu, dass alle diese Frauen verdächtig sind, Schattenfreunde zu sein?“, fragte sie dann, während sie sich ruhig an die blonde Frau wandte. „Das sind mit Sicherheit alles Schwarze Ajah, Kind.“ Tarna klang überrascht. „Ich nehme das als ja. Beonin? Silviana?“ Beide bestätigten unwirsch, es seien alles Schwarze Ajah. „Nach dem Burggesetz“ wandte Egwene sich direkt im Anschluss mit hallender Stimme an die sie umgebenden Frauen „ist es dem Amyrlin-Sitz in dringenden Fällen, bei denen Schnelligkeit eine entscheidende Rolle spielt, gestattet, zum Wohle der Weißen Burg Zwang einzusetzen, falls drei Vollschwestern ihr bestätigen, dass der Verdacht besteht, jemand sei ein Schattenfreund. Das ist hier der Fall. Bevor ich beginne, werde ich jeder einzelnen von Euch die Möglichkeit geben, sich vom Schatten abzuwenden. Will eine von Euch jetzt auf der Stelle ins Licht zurückkehren?“ Sie löste die Knebel, aber abgesehen von Flüchen und Schmähungen war nichts zu hören, also befestigte sie alle außer einem wieder. Sie trat auf die erste Schwester auf der rechten Seite zu und zog den Eidstab hervor. „Ich hätte erwartet, dass sie ihre Gesichter auch voreinander verbergen.“ meinte Beonin. „Das haben sie mit Sicherheit auch getan, allerdings mit Hilfe der Macht.“ erklärte Egwene, die sich direkt nach ihrem Eintreten dieselbe Frage gestellt hatte, als viele Gesichter offen erkennbar gewesen waren, statt mit den schwarzen Kapuzen verhüllt. Alle trugen lange schwarze Gewänder ohne Verzierungen, die vermutlich nur zu besonderen Anlässen wie dieser Versammlung getragen wurden. Es standen auch praktisch alle genau an dem Fleck, den sie während ihrer Versammlung eingenommen hatten, die meisten hatten kaum Zeit gehabt, zusammenzuzucken, bevor sie sie mit den vorbereiteten Geweben erwischte. Sie blieb vor der einzigen Schwarzen stehen, die nicht an einer Wand stand, sondern offenbar gerade verhört worden war, einer vorgeblichen Roten namens Ordine, und weil sie damit gerechnet hatte, landete deren Spucke in ihrem eigenen Gesicht, ohne dass sie auch nur blinzeln musste. Sie erneuerte den Knebel, selbst mit Tarna würde es eine lange Nacht werden. „Zu viele Rote.“ murmelte letztere hinter ihr mit unterdrücktem Zorn in der Stimme. „Die Rote ist die größte der Ajahs und wir können nicht wissen, wie viele es noch außerhalb der Burg gibt, Tochter.“ Es war ein Segen, dass sie von sich aus am Gespräch teilnahm, sie hatte darauf gehofft, es aber eher erwartet. „Willst Du sie wirklich alle dem Zwang unterwerfen?“ wollte die Rote resigniert von ihr wissen, während ihr Blick über die Reihen der Gefangenen fuhr. Kein sorgfältiges „Kind“ mehr, stellte sie zufrieden fest. „Ich will überhaupt niemanden dem Zwang unterwerfen“ gab sie geduldig zurück. „Ich tue nur, was getan werden muss, Tochter.“ Dann wob sie einen Lauschschutz um alle, die hier im Licht wandelten. „Hast Du Dich schon entschieden, Tarna?“ Sie musste es jetzt wissen. „Das fragst Du mich jetzt?“ Tarna war hörbar verblüfft. Beonin wirkte nicht halb so überrascht wie Silviarin, die ja bereits zuvor Zeuge einer ähnlichen Szene geworden war. Mit ruhiger Stimme gab sie ihre Antwort zum Besten. „Ich würde nicht ohne einen triftigen Grund fragen, Tochter. Es geht mir nicht nur darum, Romanda und Lelaine mit Dir beeindrucken zu können.“ Allerdings wäre das äußerst zufriedenstellend! „Wie ich feststellen musste, gibt es mehr als genug Schwestern, die den Amyrlin-Sitz zu ihren Gunsten beeinflussen zu können glauben. Hier und auch bei den Rebellen. Ich glaube nicht, dass auch Du derartige Anwandlungen zeigen würdest. Aber das ist es nicht, was mich zwingt, in dieser Situation auf eine rasche Antwort Deinerseits zu drängen, Tochter. Meiner Behüterin der Chronik kann ich die Aufgabe übertragen, den Schwarzen Ajah ihre Befehle zu erteilen, sobald sie den Gehorsamseid auch auf sie geleistet haben, statt nur auf mich allein. Meiner Behüterin der Chronik kann ich auftragen, die Aussagen aufzunehmen und die Bewachung zu organisieren, statt darauf hoffen zu müssen, dass Saerin die Chronik der Ersten Amyrlin stark genug begehrt, um zu tun, was immer ich von ihr verlange. Die Behüterin der Chronik kann in diesem Fall auch helfen, den Riss, der die Rote und die Blaue Ajah – und damit die gesamte Weiße Burg - spaltet, wieder zu heilen, da sie selbst eine Rote ist. Vielleicht kannst Du als Behüterin der Chronik sogar einen Weg finden, wie Siuan Sanche Aes Sedai von der Blauen Ajah und Leane Sharif von der Grünen Ajah davon abgehalten werden können, Elaida eigenhändig zu erwürgen, allerdings bezweifle ich das. Was all das angeht, werde ich auch ohne Dich als Behüterin der Chronik alles mir mögliche versuchen, aber ehrlich gesagt bezweifle ich, dass es mir in einer Nacht gelingen kann. Es war ein langer Tag, Tochter.“ Das war es wirklich. „Du machst Dir Sorgen um Elaida?“ Tarna hob eine Braue. „Auch wenn Elaida mit Hilfe der Schwarzen Ajah an die Macht kam, ist sie selbst offensichtlich keine, da sie Dich zu ihrer Behüterin der Chronik und Silviana zur Herrin der Novizinnen machte Damit steht sie, so weit es möglich sein wird, unter meinem Schutz, ob ich will oder nicht. Allerdings sehe ich nach dem Burgrecht derzeit keine Möglichkeit, ihr mindestens eine zeitweilige Dämpfung zu ersparen, auch das musst Du wissen, Tochter. Ich selbst sehe keine Möglichkeit, aus Elaida wieder eine getreue Anhängerin der Weißen Burg zu machen, aber wenn es einen Weg gibt, werde ich ihn gehen. Elaida hat Stärken, die sehr wohl noch zum Wohle der Weißen Burg eingesetzt werden können, wenn sie es nur zulässt.“ Es war unumgänglich, mit offenen Karten zu spielen, wenn sie es mit ihrer – hoffentlich – neuen Behüterin der Chronik zu tun hatte. Besonders gelungen fand sie ihren Hinweis auf eine zeitweilige Dämpfung. Tarna musste sicherlich erkennen, dass sie Elaida wenn, dann nur um ihretwillen schonen würde. Tarna Feir zögerte und sie wandte sich wieder der Frau vor ihr zu, auch wenn keine unmittelbare Gefahr drohte, war doch keine Zeit zu verschenken. „Ich werde die Chronik auch für Dich behüten, Egwene al'Vere.“ Die Stimme klang fest und selbstsicher. Sie hörte Silviana keuchen, beachtete das aber nicht weiter, sondern zögerte nicht. „Dann ernenne ich Dich hiermit zu meiner neuen Behüterin der Chronik, Tarna Feir.“ Nur damit sie das hörte, hatte sie ausgerechnet Silviana aufgefordert, mit ihr zu kommen, jetzt wurde sie hier nicht mehr gebraucht. „Silviana, falls Elaida auftaucht, um die Fortschritte der Novizinnen persönlich in Augenschein zu nehmen, wird sie sich wundern, wenn Du nicht da bist.“ Sie hatte sie nicht einmal angesehen, sondern behielt wieder die Schwarze Ajah im Auge. Dann wob sie den Zwang und ließ Fesseln und Schild fallen. „Bist Du eine Schwarze Ajah?“ Klar war sie das. „Hast Du Behüter?“ Sie war eine Rote, aber man konnte nie wissen, wie sie heute gelernt hatte. „Entsage allen Eiden, die Dich binden, möglichst, ohne dabei zu schreien.“ Sie tat es und Egwene fühlte sich an Mesaana erinnert, als sie sich stöhnend am Boden wand und ihr bestes tat, die Schreie zurückzuhalten, machte aber ohne Pause weiter. „Leiste die drei Eide.“ Es war schwer zu sagen, ob sie so undeutlich ausgesprochen überhaupt wirksam wären, aber es war ja noch nicht vorbei. „Jetzt schwöre Tarna Feir und mir Gehorsam.“ Dieser Eid war deutlich zu verstehen, da sie sich offenbar damit besondere Mühe gab. Das war ihr auch bei Mesaana aufgefallen, aber sie konnte sich keinen rechten Reim darauf machen. Sie ließ den Zwang los und Ordine begann auf der Stelle, sich kreischend am Boden zu winden. Rasch stellte sie Schild und Knebel wieder her. „Tarna, bitte bring sie nach nebenan“ sie deutete auf die große Lücke, die sie vom Nebenraum her herausgesprengt hatte „und achte darauf, dass sie keinen Unsinn macht. Silviana, Du bist noch hier? Beonin, schaff' sie nach oben, falls Elaida tatsächlich auftaucht.“ Sie hatte sich bereits vor der nächsten Schwarzen Ajah aufgestellt und löste den Knebel zuerst. „Kehrst Du ins Licht zurück?“ fragte sie ruhig. Sie unterdrückte ein Lächeln, als Beonin nach einem zackigen „Sofort, Mutter!“ die Herrin der Novizinnen am Arm nahm und sie mit sich zur Tür zerrte. Tarna kam bald zurück und blickte sich um. „Silviana geht zu Fuß nach oben? Sie hätte doch nur zu fragen brauchen, ich weiß schließlich auch, wie man Tore webt.“ Ihre Lippen zuckten. Egwene drückte den grünen Vakara an ihrer Hand und konzentrierte sich auf Elaida. Sie lag offenbar schlafend in ihrem Bett und hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Sie musste ebenso wie Egwene gespürt haben, dass in der Burg jede Menge Saidar gelenkt wurde, und war damit offenbar sehr zufrieden. „Sie hätte nur zu fragen brauchen.“ stimmte Egwene zu und Tarna lachte leise. Zehn Minuten später hatte Tarna sechs schwarz verhüllte Gestalten in den Nebenraum gebracht und acht weitere standen noch gefesselt da, weil sie Behüter hatten. Es war nicht zumutbar, eine von ihnen die Eide zurücknehmen zu lassen, solange sie verbunden waren. Zwei von ihnen hatten angegeben, sie wüssten nicht sicher, ob ihre Behüter Schattenfreunde seien, glaubten es aber nicht. Endlich kam Saerin zurück. Sie brachte die vier bereits gefangenen Schwarzen Ajah mit und über zwanzig Behüter, von denen aber fünf nicht gefesselt waren, wie sie überrascht feststellte. Die Braune schickte die vier Schwarzen Schwestern in eine Ecke des Raums und trat ohne zu zögern auf sie zu. Als sie den Mund öffnete, kam Egwene ihr zuvor: „Sind das alle, Tochter?“ „Ich... nehme es an, Kind.“ Dafür war es jetzt zu spät. Von Saerins Warte aus war es ein verständlicher Versuch, aber sie durfte ihr diese Anrede nicht durchgehen lassen, ganz gleich, wie wenig Zeit sie hatten und wie müde sie schon war. Sie blickte die Braune Sitzende kühl an und diese senkte den Blick und ihre Wangen nahmen etwas Farbe an. Das würde vorerst genügen müssen. „Wir werden es bald genauer wissen, Tochter. Was ist mit den Fünfen da?“ fragte sie und deutete auf die Männer, die nicht gefesselt waren und sich eng zusammengedrängt misstrauisch umblickten, während sie immer wieder ihre Blicke auf je eine der Schwarzen Ajah richteten und dabei ihre Schwerter tätschelten. Der Mann, der ein grünes Bild hatte, war einer von ihnen. „Ich glaube, es sind keine Schattenfreunde, denn sie wurden blass und erschraken, als ich sie danach fragte, wo die anderen vor Anstrengung, sich zu befreien, rot wurden und wütend aussahen.“ erklärte die Braune. Sie gab wieder ein perfektes Bild der kühlen Aes Sedai. „Gute Arbeit, Tochter.“ gab sie darauf zurück. Was sollte sie bloß mit ihnen machen? Es war undenkbar, die Bünde zu den Schwarzen Ajah bestehen zu lassen, wenn sie im Licht wandelten. „Ihr fünf stellt Euch jetzt sofort vor Eure Aes Sedai.“ befahl sie ruhig und die Männer taten langsam und offenbar widerwillig wie geheißen. Die schwarzen Umhänge der Schwestern an den Wänden sprachen eine deutliche Sprache. „Für lange Erklärungen bleibt im Moment leider nur wenig Zeit. Der Bund mit Euren Aes Sedai muss gelöst werden, da ich Euch nicht zumuten kann, weiterhin die Behüter von Schwarzen Ajah zu sein. Sobald das getan ist, bitte ich Euch, hier zu warten, bis alle diese Frauen von mir dem Burggesetz entsprechend befragt wurden. Bitte geduldet Euch mit Euren Fragen, die ihr sicher habt, bis das erledigt ist.“ Sie fragte sich, was sie mit ihnen und den übrigen danach anstellen sollte und war erleichtert, als Tarna von nebenan zurückkam. Vielleicht hatte sie eine Idee. Nacheinander ließ sie die Schattenfreundinnen die Bünde auf ihren Befehl hin lösen und verfuhr dann mit ihnen, wie mit denen ohne Behüter, wenn es ihr einziger Behüter gewesen war. Alle fünf wirkten verständlicherweise schockiert, begaben sich aber wortlos in eine freie Ecke des Raumes. Als sie jedoch mit der letzten von ihnen fertig war, sagte der Mann mit dem Abbild grimmig „Bitte erlaubt uns, das Recht der Behüter zu vollstrecken!“ und deutete angewidert auf die mit Saidar gefesselten Männer, während die anderen vier grimmig nickten. Selbst unter diesen Umständen war es undenkbar, ohne direkten Beweis der Schuld ein solches Todesurteil vollstrecken zu lassen! Der Saal der Burg würde sie vierteilen, wenn sie das zuließe, selbst wenn es ihr folgerichtig erschien. „Das muss warten, bis die Befragung erfolgt ist.“ gab sie zurück und er nickte mürrisch. „Lasse sie das Urteil vollstrecken.“ sagte Tarna überraschenderweise. Alle fünf hoben hoffnungsvoll und auch verblüfft die Köpfe. Sie selbst war nicht weniger verblüfft und wob erneut einen Lauschschutz. Bevor sie jedoch fragen konnte, wie das mit dem Burggesetz vereinbar wäre, hob Tarna gebieterisch die Hand und ergriff das Wort. „Wir wissen beide, dass es alles Schattenfreunde sind. Willst Du wirklich einige von ihnen frei herumlaufen lassen, nur weil sie plötzlich behaupten, ins Licht zurückgekehrt zu sein? Willst Du sie alle einzeln auch noch dem Zwang unterwerfen, um sicher zu sein? Willst Du sie Zeit ihres Lebens einsperren oder unter Bewachung halten? Dann viel Glück, ich werde Dich nicht aufhalten und auch weiterhin das Beste für die Weiße Burg tun. Ich behaupte nicht, dass es mir leicht fiele, aber wenn ich diese Entscheidung zu treffen hätte, würde ich nicht zögern. Für diese fünf Männer steht ebenso wie für mich zweifelsfrei fest, dass es sich bei all diesen Männern um Schattenfreunde handelt. Für Schattenfreunde, die zugleich Behüter sind, gibt es nach dem Recht der Behüter nur eine Strafe. Bedenke auch, dass das Recht der Behüter einen Teil des Burggesetzes darstellt. Einen Teil, dessen Ausführung im Übrigen nicht dem Amyrlin-Sitz, sondern der Behüterin der Chronik untersteht.“ Tarna hatte diesen Vortrag mit leidenschaftsloser Stimme gehalten und ohne einmal innezuhalten oder auch nur zu blinzeln. Egwene war beeindruckt: Sie hatte nicht gewusst, das das Recht der Behüter nicht der Amyrlin unterstand, tatsächlich hatte sie bis jetzt nicht einmal davon gehört, das es so etwas wirklich gab. Sie hatte das Recht der Behüter bisher für eine Art Floskel gehalten, die gelegentlich fiel, und nichts weiter, in Siuans Unterricht war es nie weiter vorgekommen. Auf diese Art war ihr zumindest ein Teil der Verantwortung für das, was geschehen würde, genommen, und sie war der mutigen blonden Aes Sedai dafür unendlich dankbar. Bei dieser Frau hatte sie darauf gehofft, pures Gold zu finden, und wie es schien, hatte sie absolut richtig gelegen. Sie deutete ein Nicken an. „Dann walte Deines Amtes, Behüterin der Chronik.“ Sie löste den Schutz gegen Lauscher und Tarna zögerte nicht, sondern wandte sich an die fünf Männer. „Tut es!“ befahl sie hart. Schnell wie Schlangen fielen die fünf mit ihren Schwertern über die nach wie vor gefesselten Behüter her. Sie musste sich zwingen, zuzusehen. Nach nur wenigen Herzschlägen hatte keiner von ihnen noch einen Kopf, allerdings standen sie wegen der Fesseln noch immer aufrecht, wodurch das Bild sehr unheimlich wirkte. Schnell löste sie alle Fesseln und die Körper fielen zu Boden. Viele der Schwarzen Ajah wanden sich in ihren Fesseln vor Qual. Es war nicht mehr zu ändern, zweifellos hatten sie es verdient. Geschmeidig glitten die fünf Klingen wieder in die Scheiden. Alle fünf verbeugten sich respektvoll vor Tarna und ihr – in dieser Reihenfolge – und gingen dann rasch in ihre Ecke bei der Tür zurück. Der Boden schwamm förmlich in Blut. Sie lenkte die Macht und schob alles zu einem großen Haufen in der Mitte zusammen, ohne zu genau hinzusehen. Dann verwob sie mit aller Kraft, die ihr dank der Halskette zur Verfügung stand, Feuer und Luft und alles zerfiel in wenigen Sekunden in weißglühenden Flammen fast restlos zu Asche. Wortlos trat sie dann auf die nächste Schwarze Ajah zu, die sich in ihren Fesseln wand und dabei stöhnte. Selbst jetzt war keine von ihnen bereit ins Licht zurückzukehren, vielleicht auch gerade jetzt. Tarna machte dazu keine weitere Bemerkung, sondern brachte weiterhin die Frauen, mit denen Egwene fertig war, mit Strängen aus Luft nach nebenan. Saerin, die sich mit Tarna verknüpft hatte, vertiefte sich wieder in das Buch, nachdem sie Egwene erneut hoch und heilig versprochen hatte, ihr alles zu berichten, was sie auch nur glaubte, herausgefunden zu haben. Über ihnen spürte sie nach wie vor die mächtigen Ausbrüche Saidars, die ihr Tun hier unten verbargen, die Übung ging also nach wie vor weiter. Zweifellos würde sie weitergehen, bis sie hier fertig war und wieder nach oben kam, alle würden neugierig sein, was wohl geschehen sei. Sie war so müde, dass sie am liebsten einfach die Augen geschlossen hätte, um zu schlafen, als sie endlich mit der letzten fertig war. Es hatte garnicht so lange gedauert, aber sie hatte heute sehr viel Saidar gelenkt. Auch Tarna machte einen müden Eindruck. Sie hatte immerhin all diese Frauen nach nebenan tragen müssen und hatte vermutlich ebenfalls einen harten Arbeitstag hinter sich, wenn auch kaum so hart wie ihr eigener. Als sie Saerin den Eidstab mit einem „Du kümmerst Dich um die Rebellen und Aufgenommenen, Tochter.“ in die Hand gedrückt hatte und geduldig wartete, dass Tarna zurückkäme, trat der Behüter, der schon vorher das Wort übernommen hatte, auf sie zu. Auch das noch, sie hatte die fünf Männer fast vergessen. Kein Wunder eigentlich, hatten sie sich in ihren unsichtbar machenden Behüterumhängen doch kaum gerührt. Sie brachte kaum noch die Konzentration auf, ihm zuzuhören! „Ich bin Salak Turvalis, Verehrteste. Ihr habt ganze Arbeit geleistet, Egwene al'Vere, wir stehen tief in Eurer Schuld.“ Er machte eine tiefe Verbeugung und die anderen taten es ihm schnell und kaum weniger geschickt nach. „Unsinn, die Weiße Burg schuldet Euch mehr, als ich sagen kann.“ gab sie möglichst freundlich zurück. Verehrteste? So hatte sie bestimmt noch nie jemand genannt. Er akzeptierte das mit einem leichten Nicken. „Wie konntet ihr zu dritt all diese Schwarzen Ajah überwältigen?“ wollte er neugierig wissen. „Das hat sie auch ohne uns geschafft.“ meinte Tarna trocken, die den Raum gerade wieder betrat. „Allein?“ rief der Behüter ungläubig. „Allerdings.“ bestätigte die Rote und ließ ein kurzes Lächeln aufblitzen. „Mit ein wenig Hilfe der ersten Amyrlin.“ fügte sie hinzu und wurde wieder ernst. „Es ist schon spät, wir sollten langsam die Übung beenden“ wandte sie sich dann an sie. Egwene wollte ihr gerade befehlen, was mit den Gefangenen zu geschehen hätte, als sie merkte, dass es unnötig war. Ihre neue Behüterin der Chronik wusste sicherlich, was sie tat. Stattdessen wob sie mühsam ein kleines Tor zur Galerie und trat hindurch. Als sie die abgebundene Treppe aus Saidar herabging, bemerkte sie, dass die fünf befreiten Behüter praktisch an ihren Rockzipfeln klebten. Alle Novizinnen, Aufgenommenen und Aes Sedai im Saal hatten bereits ohne ihre Anweisung aufgehört, die Eine Macht zu lenken, sobald sie das Tor geöffnet hatte, vermutlich da sie alle nur auf ihr erneutes Erscheinen gewartet hatten. Von den Asha'man war allerdings keine Spur zu sehen. Mit einem barschen „Ja?“ wandte sie sich an die Männer hinter ihr, sobald sie unten war. Wider alle Vernunft hoffte sie, diese Angelegenheit schnell klären zu können, damit sie endlich ihren Schlaf bekam. „Wir möchten Euch für die Gelegenheit danken, unserer Pflicht als Behüter nachkommen zu können. Bitte erlaubt mir eine Frage, nachdem Ihr mit der Euren fertig seid: Wenn ihr nur eine Novizin seid, wie habt ihr es dann geschafft, all diese Aes Sedai hinter Eurer Fahne zu versammeln?“ Der wortführende Behüter mit dem Abbild deutete zuerst auf ihr Kleid und dann auf die versammelte Menge im Saal, in deren vorderster Front die meisten der anwesenden Schwestern zu finden waren. „Ich bin der Amyrlin-Sitz Egwene al'Vere.“ gab sie streng zurück. Vermutlich sollte sie geduldiger sein, aber sie wollte nur noch in ihr Bett. Hielte sie nicht Saidar, würde sie vermutlich vor Erschöpfung einfach umfallen. Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe, hatte das nicht Zeit bis Morgen? „Aber wenn Ihr all diese Verbündeten hinter Euch versammelt hattet, Egwene al'Vere, warum habt Ihr dann all diese Schwarzen Ajah ganz allein bekämpft?“ wollte der Mann verwundert wissen. Seine Stimme trug weit und alle lauschen erwartungsvoll auf ihre Antwort. Viele der Novizinnen schnappten erschrocken nach Luft und sie hoffte, dass nicht zu viele am Morgen verschwunden wären. All ihre Überlegungen dazu jetzt auszubreiten, würde vermutlich Stunden dauern, also sagte sie nur „Die Hoffnung ist leicht wie eine Feder, aber die Pflicht ist schwerer als ein Berg.“ Lan hatte das immer gesagt und es schien irgendwie zu passen. Plötzlich blickten alle fünf Behüter sie sehr intensiv an und sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. „Wo habt Ihr das gehört?“ fragte sie der Mann vor ihr eindringlich. Er hatte ihr seinen Namen gesagt, aber sie konnte sich gerade nicht darauf besinnen. Licht, war sie müde! „Von einem Gaidin wie Euch, Lan Mandragoran.“ „Der König, der kein König ist!“ er rief dies laut genug, um deutlich im gesamten Saal gehört zu werden und die anderen vier riefen es zusammen. Dann knieten alle fünf zu ihrer Überraschung vor ihr nieder und riefen gemeinsam: „Die Stärkste Mutter wird kommen. Das Schicksal steht auf Messers Schneide Und der Schatten ist in der Burg, Dann wird sie kommen Die Stärkste Mutter. Den Schatten wird sie erkennen Und wird ihn allein bekämpfen. In der Behüter dunkelster Stunde wird sie kommen Die Stärkste Mutter. Sagt es allen, ruft es heraus: Die Zeit wird kommen Und sie wird die fünf vom Schatten befreien, Die Stärkste Mutter. Sie allein wird sprechen Die Worte des Königs der keiner ist Und sorgen für die Wahl ohne Fehl, Daran sollt ihr die Stärkste Mutter erkennen, Behüter. Die Stärkste Mutter wird kommen, Nur sie allein fürchtet den Schatten nicht. Dient der Stärksten Mutter treu, Behüter, Dient ihr, damit der Schatten fällt. Es lebe die Stärkste Mutter!“ So laut sie bisher gerufen hatten, so ruhig und bedachtsam fuhren sie gemeinsam fort. „Die Prophezeiung ist erfüllt und nun soll der Schatten selbst vor der Stärksten Mutter erzittern, der bisher uns erzittern ließ. Wir schwören ihr Treue bis über den Tod hinaus, der Stärksten Mutter. Lass unser Blut vor dem Ihren fließen, oh Licht, dass ihr kein Leid geschehe, der Stärksten Mutter. Der Tod hält für uns keine Schrecken bereit, denn wir dienen der Stärksten Mutter. Mögen wir der Stärksten Mutter stets treue Hände und Waffen sein.“ Geschmeidig stand der Behüter mit dem Abbild auf und sprach sie jetzt allein nach einer weiteren tiefen Verbeugung an „Bitte erlaubt mir, Euch als Behüter zur Tarmon Gaidon zu geleiten, Egwene al'Vere, denn Ihr seid die Stärkste Mutter.“ Er ging tatsächlich vor ihr auf ein Knie herunter und blickte erwartungsvoll zu ihr hinauf. Eine solche Szene hatte sie sich eigentlich mit Gawyn ausgemalt, doch wie konnte sie das ablehnen? Das war der mit Abstand stärkste Eid, den sie je gehört hatte! Sie griff mühsam durch die Halskette hindurch nach Saidar, sie hatte gehofft, das Tor wäre alles für heute gewesen, es war viel kleiner als gewöhnlich ausgefallen. Doch der Behüter zeigte auf die Kette und meinte „Ein Angreal kann die Bindung stören oder ein Teil davon werden, so wie es auch bei verbundenen Aes Sedai wäre, Stärkste Mutter. Es ist besser, kein Angreal bei Bindungen zu verwenden.“ Also versuchte sie es ohne die Kette, doch sie brauchte dafür all ihre Konzentration. Sie musste das schnell hinter sich bringen, daher ergriff sie rasch den Kopf des Behüters und band ihn. Sie hatte das Gefühl, ihre Haut würde sich langsam von ihrem Körper lösen, als sie alle ihre verbliebene Kraft in den Bund fließen ließ, sie hatte heute schon bei weitem zu viel Saidar gelenkt. Vor allem, wenn man ihre unfreiwillige und fast vollständige „Abstinenz“ der letzten Wochen in Betracht zog. „Ihr seid wirklich sehr stark, Stärkste Mutter.“ war alles, was er sagte, als er sich wieder erhob. Wie hieß er noch gleich? Sie war wirklich müde. Das bisschen Saidar, das sie noch hatte halten können, war vollständig für die Bindung draufgegangen, es war nicht mehr da! Für einen kurzen, aber innerlich unendlich lang scheinenden Moment verlor sie fast den Kontakt zur Quelle. Und dann spürte sie, wie quälend langsam etwas Selbstkontrolle zurückkehrte. Vielleicht reichte es jetzt fast schon wieder, um auf den Beinen zu bleiben. Der Behüter trat an ihr vorbei und stellte sich schräg hinter sie, sie konnte ihn dort fühlen. Wenn sie doch nicht so müde wäre! Wie befürchtet, kam direkt im Anschluss der nächste Behüter mit dem gleichen Spruch wie der hier. Sie ließ die Macht besser nicht los, sonst würde sie Saidar mit Sicherheit nicht mehr erreichen, sondern schlicht wie ein gefällter Baum zu Boden gehen. So schnell sie konnte, band sie auch diesen. Erneut schwankte sie an der Schwelle Saidars. Die Kommentare der anderen in ihrer Nähe hörte sie kaum, obwohl sie eindeutig laut waren. Selbst die Gesichter der sie umgebenden Aes Sedai schienen zu verschwimmen. Doch der Mann vor ihr rief etwas, das haften blieb: „Sie kann kaum noch stehen! Sie braucht sofort Ruhe!“ Trotz regte sich in ihr. Ein weiterer, mühsam erkämpfter Hauch Saidars kam zurück. Ihr erster Behüter zog den anderen zurück und meinte „Zwei Silbertaler, dass sie noch alle drei schafft.“ „Gemacht!“ sie gaben sich die Hand, das konnte sie bei beiden deutlich spüren. Beide waren sich absolut sicher, zu gewinnen. Egwene war versucht zu lachen, doch selbst dafür fehlte es ihr an Energie. Sie krallte sich an Saidar fest, mit aller Entschlossenheit, die sie aufbringen konnte. Irgendwie hielt sie durch und schaffte auch die restlichen drei. Sie konnte wirklich kaum noch stehen, sie musste dringend ins Bett, doch sie durfte auch keine Schwäche zeigen. Vor allem den Sitzenden und auch Tarna durfte sie jetzt keine Schwäche zeigen. Mit purer Entschlossenheit sagte sie leise „Erster Behüter, wir gehen jetzt.“ An seinen Namen konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern, doch seine Gegenwart war tröstlich. Alle fünf waren so stark! „Tarna, kommst Du hier zurecht?“ Sie hatte erhebliche Mühe, die Worte klar auszusprechen und die blonde Frau deutlich zu erkennen. Ohne die schmale rote Stola hätte sie sie vielleicht nicht erkannt. „Ja, Egwene al'Vere.“ Sie hörte es kaum, sondern reagierte nur auf das Nicken der anderen, als sie sich umwandte und langsam Richtung Tür schritt. Sie bemerkte nicht einmal, wie die Anwesenden respektvoll und schweigsam eine Gasse für sie bildeten, sondern konzentrierte sich nur auf den Ausgang am Ende des Saals. „Das schafft sie nie bis zur Tür!“ Ein anderer ihrer Behüter. Sie spürte, dass er sie stützen wollte, aber das hieße, Schwäche zu zeigen. Das durfte sie nicht zulassen. Hatte sie tatsächlich fünf Behüter? Anscheinend, denn sie konnte sie alle fünf hinter sich spüren. Sie begann, sich leichter zu fühlen, trotz der ungeheuren Anspannung, unter der sie stand. Ihre letzten Reserven gingen rasch zur Neige. „Zwei Silbertaler. Gegen jeden von Euch.“ Wieder ihr erster Behüter. Er hielt den anderen zurück, der sie stützen wollte. Sie folgten ihr dichtauf. Natürlich, das machten Behüter so. Sie war schon beinahe halb an der Tür, nur noch ein paar Schritte weiter. Immer ein Fuß vor den anderen. Und gerade halten. Und noch ein Schritt, und noch einer. Sie musste es schaffen! „Gemacht!“ erklang es selbstsicher und voller innerer Überzeugung aus vier Kehlen. Verdammte Mistkerle! „Leicht verdientes Geld, das ist die Stärkste Mutter, natürlich schafft sie es!“ meinte der erste Behüter lachend. Sie wünschte, sie wäre sich halb so sicher wie er sich anfühlte. Ihr erster Behüter gewann, aber es war knapp. Kaum war sie auf dem Flur und die Tür geschlossen, da murmelte sie „muss schlafen.“ und ließ Saidar los. Sanfte Arme fingen sie auf und sie wurde getragen. Dann war sie in Tel’aran’rhiod. Doch auch hier war sie zu erschöpft. Sie wäre für jeden Verlorenen ein gefundenes Fressen. Sie versuchte, sich fit und erholt vorzustellen, doch es klappte nicht. Sie würde Amys danach fragen, ob so etwas tatsächlich möglich war. Sie hatte keine andere Wahl, also ließ sie sich in echten Schlaf gleiten. Nur ein winziger Rest blieb wachsam, um ihre Träume im Auge zu behalten. |
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