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Wir schreiben den 21. Nesan Einleitung Der Autor RJ's Blog Buchübersicht Buchdetails Handlung Kurzgeschichte Weitere Produkte Enzyklopädie Personen Heraldik Alte Sprache Prophezeiungen Namensgenerator
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In die Berge „Mat, ist alles in Ordnung?“ Tam hatte als erster bemerkt, dass er steif wie ein Brett dasaß und mit geweiteten Augen Löcher in die Luft starrte. „Es gibt keinen Pass, der über die Verschleierten Berge führt.“ gab er leise und mit kaum merklichem Kopfschütteln zurück, wie um zu leugnen, was er gehört hatte. Mühsam riss er sich zusammen und blickte in die Augen des Mannes, den er so lange für den Vater eines seiner besten Freunde gehalten hatte. Irgendwie war er es wohl auch, fügte er gedanklich hinzu und zumindest diesmal vermied er es erfolgreich, dass seine Gedanken sich Rand zu sehr näherten. Die Notwendigkeit, diesen lichtverfluchten Pass zu schließen, verdrängte jeden Anflug eines Bildes sofort. „Oder zumindest gab es bisher keinen.“ Tams Augen weiteten sich verstehend, seine Gesichtsfarbe wechselte zu einem deutlich blasseren Ton und seine Worte kamen fast als Flüstern heraus. Auch er hatte jetzt offenbar erkannt, was ihnen bisher entgangen war. Mat bemerkte ein Zucken seiner Hand, als wolle er nach einem Schwert an seiner Hüfte greifen. Doch Tam fing sich schnell, sein Blick wurde fest und durchdringend und er nickte ihm anerkennend zu. „Klar gibt es Übergänge über die Verschleierten Berge“ warf Naellim wegwerfend ein. „Die Langreon-Brücke und den Steinpass.“ stimmte Kirunin sofort zu. „Der Weiße Pfad ist zwar nicht ungefährlich, aber passierbar.“ „Oder auch die...“ „Nein,“ unterbrach Mat den Taraboner mit schneidender Stimme „ihr versteht nicht! Natürlich gibt es einige Pässe, weit im Norden oder Süden. Aber hier in Manetheren...“ er bemerkte seinen Ausrutscher zu spät, fuhr aber trotzdem übergangslos fort, weil es ihn in diesem Moment nicht kümmerte „...gab es nie einen Pass. Nie! Kureon, der Wanderer, suchte zwölf Jahre lang danach, bevor hier je eine Stadt oder gar ein Ogierhain stand, aber er fand ihn nie.“ Er erinnerte sich daran, wie Kureon hoch in den Bergen erfroren war, aber diesen Teil ließ er lieber aus. „Und Fryr'ga'an war nicht der einzige Kommandant, der zahlreiche Späher in die Verschleierten Berge schickte, um nie zurückzukehren. Der absolut einzige Weg, der in das Gebiet Zwei Flüsse führt, verläuft über Taren Fähre, das weiß jeder hier.“ Auch wenn die Anwesenden es natürlich besser wussten, da sie ja die neue Brücke kannten. Er selbst wusste natürlich, dass es auch diese Tore gab, die Nynaeve und die restlichen Aes Sedai als „Schnelles Reisen“ bezeichneten, aber er wollte die übrigen nicht zu sehr beunruhigen. Ihm fiel kaum auf, dass er die ehemalige Seherin inzwischen als eine von ihnen betrachtete. Nach allem, was er hier gehört hatte, konnten diese Asha'man das Schnelle Reisen inzwischen auch, aber dagegen war nichts zu machen. Erneut gelang es ihm, ein Bild Rands zu verdrängen, bevor es sich bildete. Sicher hatte er ihnen gezeigt, wie das ging. Die beiden Hauptleute blinzelten überrascht und öffneten nach einem raschen Blickwechsel gleichzeitig den Mund. „Dann sollten wir schnellstens...“ „...dafür sorgen, dass all diese Leute sich nicht irren.“ beendete Mat den Satz für sie. „Oder habt ihr schon vergessen, warum die neue Brücke unter Verschluss bleiben muss?“ Er wartete nicht auf eine Antwort. Wenn diese beiden etwas so einfaches nicht verstünden, dann wären sie nie bis zu Hauptleuten befördert worden, immerhin waren sie keine Adeligen. Mat leerte seinen Krug und erhob sich. „Ihr zwei bringt mich auf der Stelle zu diesem Pass, ist das klar?“ Beide Männer nickten ernst und erhoben sich gleichfalls. „Mat“ meldete sich Tam mit ruhiger Stimme zu Wort und blieb dabei ganz ruhig sitzen „dieser Pass muss mindestens seit einem Jahr frei sein und es ist schon spät. Ich denke, es ist das beste, wenn Du uns erst morgen wieder verlässt. Was werden deine Mutter und die anderen denken, wenn du noch heute Abend abreist?“ Da hatte er nicht ganz unrecht, musste Mat zugeben. „Völlig richtig“ hieb Bran in dieselbe Kerbe „Deine Mutter würde sich nur unnötige Sorgen machen.“ „Ich denke“ fügte sein Vater hinzu, während er sich erhob „es ist Zeit, sich für die Nacht zurückzuziehen. Alles Übrige können wir morgen früh besprechen.“ Und dabei beließen sie es auch vorerst, sobald die beiden Hauptleute zugesagt hatten, sich bis dahin zur Abreise bereit zu machen, ohne es an die große Glocke zu hängen. Vanin würde mit Olver gemeinsam die Rotwaffen und die anderen am frühen Morgen aufsuchen und sie unbemerkt um Emondsfeld herumführen, um ihn dann westlich davon wieder zu treffen. Der nächste Morgen hielt unerwartet einen ganz persönlichen Schrecken für Mat bereit. Nach einigen wilden und zusammenhanglosen Alpträumen über Seanchan und Trollocs, die wie aus dem Nichts in die Zwei Flüsse strömten, fragte er sich mürrisch, womit er das verdient hatte, obwohl er doch zum ersten Mal seit langem wieder in seinem eigenen Bett schlief. Zwar war es am Abend noch spät geworden und er hatte nicht besonders gut geschlafen, doch er fühlte sich trotzdem gut, wie er so wenig später mit seinen Eltern zusammen am Frühstückstisch saß. Alles erschien so vertraut – wenn auch etwas ärmlich, wie eine Stimme in seinem Hinterkopf ständig zu flüstern schien. Er grübelte darüber nach, ob es seine Eltern beleidigen würde, wenn er ihnen einen Beutel Gold geben würde. Vielleicht schon. Wenn er dazusagte, dass er das Geld beim Glücksspiel gewonnen hatte, dann mit Sicherheit. Und was sollte er sonst sagen, wo er das Geld her hatte? Vielleicht sollte er einen Beutel einfach irgendwo zurücklassen, wo sie ihn finden würden? Das wäre eine Möglichkeit. Dann jedoch meinte seine Mutter beiläufig „Wie ist sie denn so?“ und unterbrach damit seine Gedanken und eine kurzzeitige Stille am Tisch. „Wen meinst Du?“ fragte er unbedarft und mit einem Lächeln zurück. „Egeanin, die Aes Sedai, die Lady Alys oder einfach die weite Welt dort draußen?“ „Deine Frau.“ Sie sagte es nicht einmal besonders laut oder vorwurfsvoll, aber es schwang trotzdem eine gewisse Schärfe mit. Sein Lächeln erfror. Es fiel ihm schwer, nicht mehr als ein Blinzeln zu zeigen, denn innerlich fühlte er sich, als hätte man ihn kopfüber in ein Fass mit Eiswasser getaucht. Abell verschluckte sich an seinem Tee und musterte ihn dann streng und misstrauisch mit zusammengezogenen Augenbrauen. Natti jedoch wirkte völlig gelassen, wenn man von dem gefährlichen Funkeln in ihren Augen absah, das er nur allzu gut kannte. Es zeigte sich üblicherweise dann, wenn er etwas richtig Schlimmes angestellt hatte – oder was sie eben dafür hielt. Mats erster Impuls war, ein wütendes Wer hat Dir das gesagt?! zu brüllen, doch er verkniff sich das. So zugeschnürt, wie seine Kehle sich im ersten Augenblick anfühlte, wäre vermutlich sowieso nur ein heiseres Krächzen herausgekommen. Er würde schon irgendwie herausbekommen, wer seinen blutigen Mund nicht hatte halten können, - eigentlich konnte er sich das bei keinem seiner Begleiter vorstellen, aber es musste so sein - doch jetzt gerade nützte ihm das nichts. Er räusperte sich vernehmlich, um seine Stimme wiederzufinden, bevor er antwortete. „Wunderschön, vor allem, wenn sie lächelt.“ Seine Stimme schwankte kaum, wie er erleichtert feststellte. Für einen kurzen Moment verlor er sich in der Erinnerung an ihr Gesicht, aber er nahm sich schnell wieder zusammen. „Sicher wundert ihr euch, warum ich nichts von ihr erzählt habe, aber das schien mir am sichersten zu sein. Am sichersten für euch. Seht ihr, Tuon ist nämlich...“ Nein, er konnte es nicht riskieren, ihre Identität zu enthüllen! „...sie ist einfach...“ Seine Gedanken rasten, während er versuchte, sich eine passende Geschichte zurecht zu legen. Dann seufzte er ergeben und beschloss, wenigstens so ehrlich zu sein, wie es ihm möglich war. Mit einem leichten Kopfschütteln begann er von neuem. „Nein, einfach ist sie nicht. Das ganz bestimmt nicht! Tuon nimmt es an Undurchschaubarkeit ganz leicht mit einem Dutzend Aes Sedai auf und von Angst oder auch nur Nervosität hat sie noch nicht einmal etwas gehört. Sie scheint es zu genießen, wenn ich ihretwegen vor Sorge auf dem Zahnfleisch gehe oder vor Ärger platzen könnte. Manchmal glaubt sie, die verrücktesten Sachen aus einem Spinnennetz oder dem Flug der Vögel herauslesen zu können, und meistens habe ich keine Ahnung, woran ich bei ihr bin. Sie ist nicht mein Feind, ganz im Gegenteil, aber ihr Volk ist es. Sie ist eine Seanchan - ich weiß, dass ihr schon von ihnen gehört habt - und einige der Dinge, die sie tun, sind schlimm, wirklich schlimm, versteht ihr? Ich möchte nicht, dass ihr da mit hineingezogen werdet, nur weil ich meinen Mund nicht halten konnte. Es kann sein, dass ich schon damit zu viel gesagt habe.“ Mat unterbrach seine Mutter, bevor sie etwas einwenden konnte, als ihm eine Idee kam, wie er es ihnen vielleicht vermitteln konnte. „Warte bitte noch, bevor Du etwas sagst, ich möchte euch erst noch etwas zeigen.“ Er zog seinen Würfelbecher aus der Gürteltasche und schüttelte ihn leicht, bevor er die Würfel rollen ließ. Fünf einzelne Punkte zeigten nach oben, ganz wie er es erwartet hatte. „Manche Dinge sind Zufall und andere wieder nicht.“, erklärte er ruhig, während seine Eltern ihn verblüfft musterten. Er sammelte die Würfel wieder ein und schüttelte den Becher erneut. „Manche Dinge sind auch Schicksal.“ Er warf, und erneut lagen auf dem Tisch die Augen der Dunklen Königs. „Es war mein Schicksal, Tuon zu heiraten, aber da ich nicht weiß, warum, kann ich es euch auch nicht sagen. Der Schöpfer webt das Muster, nicht ich.“ Ein drittes Mal hob er die Würfel auf und ließ sie in seinem Becher klappern. Abell wirkte sehr nachdenklich und Natti schien ihn diesmal wirklich unterbrechen zu wollen, daher hob er etwas die Stimme und kam ihr zuvor. Er konnte fühlen, wie das Glück sich um ihn herum sammelte. Fast glaubte er sogar zu spüren, wie das Muster sich um ihn spannte. „Wir alle mögen es, mehr zu wissen als andere. Meistens ist Wissen erstrebenswert und wertvoll.“ Er warf und fuhr fort, während die Würfel noch rollten, wobei er seinem Vater fest in die Augen blickte. „Doch manchmal ist es SEHR viel wertvoller, wenn man etwas nicht weiß.“ Er erhob sich, ohne einen Blick an die Würfel zu verschwenden, und ließ auch seinen Würfelbecher einfach auf dem Tisch stehen. Es kam nicht auf die Würfel oder den Becher an, sondern auf ihn und sein Glück. „Das ist leider im Moment alles, was ich euch dazu sagen kann. Mutter, ich komme zurück, wenn ich kann. Bitte mache Dir nicht zu viele Sorgen, ich komme schon zurecht. Es tut mir leid, dass ich nicht länger bleiben kann, aber es geht nicht. Abell, es ist Zeit.“ Sein Vater folgte ihm erst hinaus, nachdem er sich schon eine Weile mit tief heruntergezogenem Hut gleich neben der Tür mit dem Rücken an die Wand gelehnt hatte. Zwar war nicht viel los auf der Straße, aber es war trotzdem besser, unauffällig zu bleiben. Er wusste selbst nicht so genau, warum er das mit den Würfeln getan hatte, aber zumindest würden wohl beide keine weiteren Fragen stellen und sicherlich auch niemandem davon berichten, dass ihr eigener Sohn das Glück des Dunklen Königs hatte. Licht, hoffentlich ist es das nicht! Alles, nur das nicht! Da noch lieber ein verdammter Ta’vaeren! Abell war zunächst schweigsam, während sie Seite an Seite die kurze Strecke zur Weinquellenschenke in Angriff nahmen. „Natti sitzt bestimmt noch immer da und starrt die Würfel an.“ meinte er schließlich nachdenklich. „Das war kein Trick, oder? Die Würfel sind nicht gezinkt oder so? Nein, natürlich nicht, dann hättest Du sie wieder mitnehmen müssen. Aber, wenn es kein Trick war, dann... Sag mal, Junge, Du kannst doch nicht etwa...? Ich habe das von Rand gehört, und...“ Mat verscheuchte das Bild von Rand, bevor er mehr als einen dunklen Saal ausmachen konnte, in dem er gerade stand. „Ich kann nicht die Eine Macht lenken, wenn du das meinst.“ gab er mit schiefem Lächeln zurück. „Tatsächlich kann die Eine Macht mich nicht einmal berühren, wenn ich das nicht will. Aber es würde zu lange dauern, das noch weiter auszuführen.“ Er fühlte kurz nach dem Fuchskopf, der unter seinem Hemd verborgen lag. „Bitte glaube mir, wenn ich dir sage, dass es für dich wirklich besser ist, nicht zu viel zu wissen. Für euch beide. Ich wünschte, es wäre anders, doch das ist es nicht.“ „Wir können später auf dem Weg in die Berge ausführlicher darüber sprechen, Mat.“ „Du kommst aber nicht mit“ sagte er ein wenig traurig aber dennoch fest. „Junge, du glaubst doch nicht, dass ich mir ausgerechnet von dir sagen lasse, wo ich hingehen darf und wo nicht?“ „Du bist zu bekannt“ erklärte Mat ruhig. „Wir würden Aufmerksamkeit auf uns ziehen und, glaub’ mir, das willst du bestimmt nicht. Außerdem muss jemand den Leuten erklären, warum „Lord Grinwell“ und seine Begleiter so schnell wieder verschwunden sind. Die plötzliche Abreise von Naellim und Kirunin wird auch für Fragen sorgen, da bin ich sicher. Wer sich durch einen Pass in den Verschleierten Bergen geschlagen hat, vergiss den Mann nicht, der ihn heil hinüber brachte. Es wird das Beste sein, bei der Geschichte zu bleiben, dass ich sie angeheuert habe, um mich zu den neuen Bergwerken zu bringen. Und noch etwas: Wenn Du glaubst, dass jemand über meinen Aufenthalt hier plaudern könnte, dann gib ihm einfach was von dem hier.“ Mit gemischten Gefühlen drückte er seinem Vater einen Beutel in die Hand, in dem es klimperte. Er war schwer für seine Größe und Abell wog ihn nachdenklich in der Hand, bevor er ihn einsteckte. Da drin war genug Gold, um sogar den alten Cenn Buie zum Schweigen zu bringen, überlegte Mat und seine Lippen zuckten. „Du spielst den Lord recht überzeugend, mein Junge, das muss ich schon sagen.“ Abell klang resigniert, als er fortfuhr. „Du hast gewonnen, ich werde bleiben. Aber versprich mir eines: Dass du gut auf dich aufpasst und zu uns zurückkommst, sobald du kannst.“ Den Lord spielen? Ich bin ein blutiger Lord – und mehr – ob ich will, oder nicht. Ich bin der verdammte Prinz der Raben, Licht, steh mir Narren bei! „Ich komme zurück, falls ich kann, mehr kann ich nicht versprechen.“ Er verstummte sicherheitshalber nach dem letzten, leise ausgesprochenen Satz. Eine junge, hübsche Frau in einem tief ausgeschnittenen, dunkelgrünen Domanikleid kam an ihnen vorbei und musterte ihn neugierig. Er grüßte sie im Vorbeigehen mit einem höflichen Nicken und fasste sich, weil es irgendwie dazu zu gehören schien, mit der Rechten an die Hutkrempe, ohne weiter auf sie zu achten. Doch dann zuckte plötzlich eine verschwommene Erinnerung an heimliche Küsse durch seinen Verstand und er blickte zu ihr zurück. „Licht!“ flüsterte er unwillkürlich „War das etwa Marisa Ayellin?“ „Allerdings“ schmunzelte Abell. „Aber ein verheirateter Mann sollte einer anderen Frau nicht so hinterherschauen, wie du gerade.“ Mat schnaubte. „Sehr komisch, wirklich!“ Er fragte sich, was der Frauenzirkel wohl davon hielt, wenn die jungen Frauen solche Kleider trugen. Marisa war ja sowieso schon immer ein Blickfang gewesen, aber in einem Domanikleid... Es kostete ihn Mühe, sich nicht ein weiteres Mal nach ihr umzusehen und sich komplett zum Narren zu machen. Sie näherten sich der Schenke von hinten, weil es unauffälliger war, und sobald sie durch die Hintertür traten, wurden sie von den beiden Hauptleuten freundlich begrüßt. Offensichtlich waren sie bereit zum Aufbruch. Mats Begleiter saßen am Küchentisch und beendeten gerade ihr Frühstück, während außer Bran und Marin al’Vere niemand sonst hier war. Egeanin und Domon waren entspannt und grüßten ihn ebenso offen, wie die leicht lächelnde Moiraine. Teslyn allerdings wirkte verspannt und mied seinen Blick. Sah so aus, als hätte er die Schuldige bereits gefunden. Er würde ein ernstes Wort mit ihr reden müssen. „Seid ihr bereit? Wir müssen weiter.“ „Ah, guten Morgen, Mat.“ Frau al’Vere trat lächelnd auf ihn zu, um ihn herzlich zu umarmen. „Schade, dass du uns schon so schnell wieder verlassen musst. Pass gut auf dich auf, mein Junge.“ „Werde ich.“ versprach er und erwiderte ihr Lächeln. Er wäre lieber geblieben, das schon, aber er konnte sich wirklich Schlimmeres vorzustellen, als abzureisen. Er gehörte nicht an die Zwei Flüsse. Heute nicht und vielleicht nie mehr. Aber wenigstens konnte er dazu beitragen, seine Heimat etwas sicherer zu machen, bevor er ging. Natürlich nichts so Großartiges wie Perrin – dessen Bild wurde energisch verdrängt, bevor es sich bilden konnte – aber immerhin. Ihm kam ein Gedanke und sein Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. Während er weiterhin die Bilder in seinem Kopf verdrängte, sagte er „Grüßt Perrin schön von mir, ja? Dass ihr das nicht vergesst! Ihr könnt ihm alles erzählen, was ich euch berichtet habe,“ er nickte Abell bestätigend zu, je mehr, desto besser „und richtet ihm bitte aus, dass ich oft an ihn denke.“ Die drei Emondsfelder versprachen es ihm hoch und heilig. Das war wirklich ein fabelhafter Streich, lachte Mat innerlich, falls auch er diese Bilder sah, würde „Lord Goldauge“ bei seinem nächsten Besuch vor lauter Bildern von Mat nicht mal mehr sein eigenes Bild im Spiegel sehen. Er fischte für Meister al’Vere eine andoranische Goldkrone aus der Manteltasche und bezahlte damit für die Zimmer seiner Begleiter. Natürlich musste er den Mann erst überreden, das Gold auch anzunehmen. Abell kam noch mit zum Stall, aber die al’Veres blieben in der Küche zurück. Nachdem er Pips etwas langsamer als sonst gesattelt hatte und die beiden Hauptleute schon draußen waren, rief Mat mit kalter Stimme nach Teslyn, die ihnen gerade folgen wollte. „Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet eine Aes Sedai nicht den Mund halten kann. Ich hoffe, Du hast eine gute Ausrede parat.“ Er hob nur die Hand, als sie etwas sagen wollte, und sie schloss den Mund wieder und senkte ihren Blick. Damit war klar, dass er richtig gelegen hatte. „Nicht jetzt, das klären wir später. Aber wir werden es klären, verlass’ dich darauf. Und jetzt raus hier, ich möchte noch ein paar Worte mit meinem Vater wechseln. Es wird nicht gelauscht, ist das klar?“ Die Aes Sedai nickte mürrisch und trieb ihren Grauen vorwärts, ohne ihn anzublicken. Die übrigen drei wirkten überrascht, hatten offenbar keine Ahnung, worum es ging, aber auch sie verließen den Stall rasch. „Sehr beeindruckend, Junge“ sagte Abell leise von der Seite her. Er klang tatsächlich beeindruckt, aber sein Blick war ernst. „Ich hätte nicht gedacht, dass es möglich ist, so mit einer Aes Sedai zu reden, ohne seine Zunge oder Schlimmeres zu verlieren. Vielleicht solltest Du trotzdem in Betracht ziehen, bei Aes Sedai zukünftig etwas zurückhaltender zu sein. Und sei es nur deiner Mutter zuliebe. Schließlich hast du ihr versprochen, vorsichtig zu sein.“ „Sie hätte eben die Klappe halten sollen. Normalerweise sagen diese Aes Sedai nicht ein Wort zu viel oder auch garnichts, wenn man sie etwas fragt, aber dann tratscht sie wie ein Waschweib...“ Er bemerkte den strengen Blick seines Vaters und sprach in einem verteidigenden Tonfall weiter. „Ich finde es im Grunde nicht so schlimm, dass ihr beide jetzt von Tuon wisst, wirklich. Vielleicht ist es sogar besser so.“ Sein Ton wurde wieder schärfer, obwohl er es nicht bemerkte. „Aber Tatsache ist, dass ihr jetzt über Wissen verfügt, für das manche euch bedenkenlos töten würden - glaub’ es besser! - und das ist ganz alleine Teslyn zuzuschreiben. Das Mindeste, was ich tun sollte, wäre, ihr den Hintern zu versohlen, und vielleicht werde ich das sogar tun, wenn sie mir dumm kommt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich eine Aes Sedai auf diese Art in ihre Schranken verweise. Wie ich schon sagte, kann die eine Macht mir nichts anhaben, wenn ich es nicht will... Zumindest nicht direkt. ...und außerdem hat Teslyn geschworen, alles zu tun, was ich von ihr verlange. Nein, Abell, sie ist wirklich die geringste meiner Sorgen, das kann ich dir versichern.“ Sein Vater starrte ihn an, als hätte er ihn noch nie gesehen. Große Verwirrung lag in seinem fragenden Blick. „Du hast...? Und sie hat...? Man würde uns...?“ Die rechte Hand wanderte zu seinem Hals und Mat tat es ihm unbewusst gleich. Die Narbe mochte verschwunden sein, aber die Erinnerung würde ihm wohl für immer bleiben. „Aber, Licht!, Mat, warum denn nur? Ich verstehe das alles nicht!“ Mat lachte trocken auf und nahm die Hand wieder herunter. „Ich verstehe ja selbst kaum die Hälfte von alledem, und dabei war ich dabei. Das Beste ist, nicht zuviel darüber nachzudenken, dann macht man sich weniger Sorgen. Ich habe es einmal zurück geschafft, also schaffe ich es auch ein zweites Mal. Pass’ du nur solange auf die Zwei Flüsse auf, ja? Und denk’ auf jeden Fall daran, Perrin von mir zu grüßen.“ Er schwang sich auf Pips, obwohl Perrins Gesicht noch nicht ganz verdrängt war, und ihm wurde etwas schwindelig, weil er sich drehte, aber das Bild vor seinen Augen nicht, wo Perrin offenbar gerade ebenfalls auf einem Pferderücken aufbrach. Es war vermutlich nur fair, wenn sein kleiner Scherz diesmal auf seine eigenen Kosten ging. Er brachte Pips dazu, den Stall zu verlassen, und winkte seinem Vater nur noch einmal flüchtig zu. Auch wenn er bezweifelte, seine Heimat oder ihn noch einmal wiederzusehen, war es besser, wenn er die Feuchtigkeit in seinem verbliebenen Auge nicht bemerkte. Sie verließen die Stadt in Schweigen gehüllt durch das westliche Tor, welches zu den neuen Bergwerken im Westen führte. Mat fiel erst mit Verspätung auf, dass er Emondsfeld jetzt gedanklich nicht mehr als Dorf ansah. Mit all den Fremden aus aller Herren Ländern, den neuen, größeren Gebäuden mit den Ziegeldächern, der Mauer außen herum und der großen Fahne mit dem Wolfskopf, die über allem wehte, hatte man wirklich eher den Eindruck gehabt, sich in einer Stadt zu befinden, als in einem Dorf auf dem Lande. Sobald Emondsfeld hinter ihnen verschwunden war, schlossen die anderen, die Vanin und Olver bereits hierher geführt hatten, aus dem Wald heraus zu ihnen auf. Sie brachen sofort gemeinsam in Richtung Verschleierte Berge auf und auch wenn die Hauptleute angaben, den Weg nicht mehr genau zu wissen, ließ Mat sie die Führung übernehmen. Vorerst würde es sowieso genügen, der alten Haldenstraße zu folgen. Bei dem zügigen Tempo, das sie anschlugen, waren sie schon nach zwei Tagen innerhalb der ersten kleinen Ausläufer der Verschleierten Berge. „Halde“ wie der hiesige kleine Außenposten der Zivilisation am Rande des Westwaldes inzwischen genannt wurde, war fast ein eigenes Dorf für sich. Ein gutes Dutzend grobe und zweckmäßig wirkende Holzhütten, gedeckt mit einfachen hölzernen Schindeln, stand recht ordentlich aufgereiht in halbwegs sicherer Entfernung zu einer steilen Felswand. Es gab hier nicht nur zahlreiche staubbedeckte Burschen, die mit Gestein gefüllte Wagen aus dunklen Löchern schoben, und andere, die mit Spitzhacken darin verschwanden, sobald ihr Dienst unter Tage begann, nein, es gab hier auch rußbeschmierte Arbeiter, die sich um einen haushohen Hochofen kümmerten, alle Arten von Holzarbeitern - zuständig für die in den Schächten nötigen Stützbalken, den Häuserbau und Unmengen Brennholz - und gleich zwei Schmieden, aus denen beständige Hammerschläge erklangen. Der Westwald war hier deutlich auf dem Rückzug und reichte nicht einmal mehr auf eine Meile an die Häuser heran. Es gab auch eine kleine Schenke namens „Hacke und Stiel“, die recht gut zu laufen schien. Eine robust wirkende Frau namens Espara Soman fungierte als eine Art Seherin und Halde hatte sogar eine Art Dorfrat, zwei mürrische Domani, die hier offenbar die Schürfrechte besaßen – zu seiner Verblüffung waren die dazugehörigen, stolz präsentierten Dokumente doch tatsächlich von Perrin unterzeichnet! Wenigstens hatte er keinen Titel benutzt, sondern nur seinen Namen, aber trotzdem, Licht! Die beiden waren alles andere als froh, „Lord Grinwell“ zu begrüßen, weil sie befürchteten, er wolle ihnen Konkurrenz machen. Nicht, dass er sich wirklich dafür interessierte, wieviel Gold und Silber gefördert wurde, aber es ärgerte ihn doch, dass sie ihm darüber keine Angaben machen wollten. Zumindest sollte sein kurzer Besuch genügen, um alle davon zu überzeugen, dass „Lord Grinwell“ wegen der neuen Bergwerke hergekommen sei. Als er angab, tiefer in den Bergen nach weiteren Fundstellen suchen zu wollen, wünschten beide ihm mit falschem Lächeln viel Erfolg. Mat konnte heraushören, dass sie nichts dagegen hätten, wenn er nie aus den Bergen zurückkäme. Er sah in Halde nicht einen einzigen der ursprünglichen Emondsfelder und war dankbar dafür, weil ihn so niemand erkennen konnte. Was folgte, war ein verschlungener Irrweg aus Felsgestein und Geröllhalden auf dem sie mehr als einmal ihre Reittiere und Packpferde an den Zügeln weiterführen mussten. Gelegentlich waren vor nicht allzu langer Zeit tiefe Zeichen in den Fels gemeißelt worden, die wohl die Ansprüche der beiden Domani auf die jeweiligen Fundstätten sicherstellen sollten. Die Männer würden zwei Leben brauchen, um auch nur die Hälfte davon zu erschließen, überlegte Mat amüsiert. Gelegentlich kamen sie an Stellen, die Mat bekannt vorkamen. Meistens aus den Erinnerungen anderer – jedenfalls, soweit er das noch sagen konnte – aber gelegentlich auch aus seinen eigenen. Zwei Stellen, die sie passierten, erinnerten ihn an Momente, an denen er fast abgestürzt war und ein besonders steiler Abhang, der hunderte von Spannen bodenlosen Abgrunds zu umgeben schien, rief ihm Rand ins Gedächtnis, der zwischen ihm und Perrin am Sicherheitsseil baumelte, während sie beide sich verzweifelt in den Fels krallten. Er brauchte einige Augenblicke, bevor die daraufhin erscheinenden Bilder wieder vertrieben waren. Hier war mit Sicherheit nicht der richtige Ort, um sich ablenken zu lassen! Wenigstens schien außer Olver, der direkt hinter ihm kam, niemand seine kurzzeitige Schwäche in den Knien bemerkt zu haben. Doch eines sagten ihm seine Erinnerungen eindeutig: Er war auf anderen Wegen an diese Stellen gelangt, als dem jetzigen. Der eigentliche Pass musste folglich noch höher liegen. Es würde keinen Sinn machen, bereits hier einige Durchgänge zu verschließen, damit würde er sich höchstens selbst den Rückweg abschneiden. Er musste die richtige Stelle abpassen, denn wie er sein Glück kannte, wartete auf der anderen Seite vermutlich bereits ein Heer der Seanchaner darauf, sich auf diesen Pass zu stürzen. Es sähe seinem Glück ähnlich, plötzlich mit ein paar Handvoll Soldaten einen schmalen Durchgang gegen ein Heer verteidigen zu müssen, überlegte er grimmig. Sie lagerten in der ersten Nacht auf einem felsigen Plateau, das unter einem Überhang lag. Kein besonders bequemer Platz. Er erlaubte nicht, Bolzen in den Untergrund zu schlagen, um die Zelte aufzustellen, aber niemand beschwerte sich. Es hatte bereits einige Steinschläge gegeben und mehr als einer warf misstrauische Blicke auf den Fels über ihren Köpfen. Die meisten flüsterten nur, aus Angst, einen Steinschlag auszulösen. Sie beschwerten die Leinen der Zelte mit Felsen, das ging auch ganz gut und barg weniger Risiko. Weiter unten hatte sich bereits eine frühsommerliche Wärme bemerkbar gemacht, aber hier oben war es deutlich kühler. Umso überraschter war er, als ihr Lagerplatz am nächsten Morgen fast warm zu nennen war. Es war auch völlig windstill, obwohl er sah, dass sich die kleinen Bergkiefern, die sich als einziges hier oben hielten, durchaus im Wind bewegten. Joline äußerte den Gedanken, jemand könnte den Lagerplatz mit einem Windschutz versehen haben, obwohl sie nichts dergleichen feststellen konnte. Auch wenn Mat ihre Vermutung teilte, achtete er darauf, Moiraine keine auffälligen Blicke zuzuwerfen, als sie wieder aufbrachen. Als irgendwo in der Ferne ein Krachen zu hören war, nutzte er jedoch die Ablenkung, um ihr ein fragendes Lächeln zu schenken. Er war verblüfft, ein augenzwinkerndes Grinsen zurückzubekommen. Es fiel ihm zunehmend schwerer, sie als Aes Sedai zu betrachten, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Einen Streich wie diesen hätte er vielleicht Egwene zugetraut, aber niemals Moiraine. Gegen Mittag passierten sie eine Felswand, an der in mannshohen Buchstaben eine verwitterte, aber noch gut zu erkennende Inschrift lesbar war. Er erinnerte sich, sie schon zuvor gesehen zu haben, aber diesmal ergab sie für ihn einen Sinn. „Erinnert Euch an die Rose der Sonne. Sie gab ihr Leben für ihr Volk, erinnert Euch. Wenn uns die Alten nicht den Weg zeigen, kehren wir zurück in die alte Heimat, verheert von Leid und Not. Doch die Erinnerung soll nicht verblassen an die Rose der Sonne und Aemon von der Bergheimat, die für uns starben.“ „Ich frage mich, wer mit den Alten gemeint sein mag.“ murmelte Moiraine, die von ihm bisher praktisch unbemerkt neben ihm ritt. Hier war der Weg auch breit genug für zwei oder gar drei Reiter. „Ich nicht.“ Erst, als sie ihm ein amüsiertes Lächeln schenkte, ging ihm auf, dass sie die Alte Sprache benutzt und er in gleicher Weise geantwortet hatte. In sich hinein fluchend erkannte er, dass sie jetzt auch von seiner Fähigkeit wusste, die Alte Sprache fließend zu lesen. „Warum folgt Ihr mir?“, wollte er ungehalten von ihr wissen. Seine Frage war laut genug, dass die beiden Hauptleute ihm einen verwirrten Blick zurückwarfen und Thom und Olver neugierig näherritten, wie er mit einem ärgerlichen Blick über seine Schulter feststellte. Wenigstens waren die Aes Sedai – die anderen Aes Sedai, korrigierte er sich schnell – zu weit hinten, um ihn gehört zu haben. Moiraine ließ sich diesmal Zeit mit ihrer Antwort. Die lange Schlucht, welche sie gerade passierten, war schon deutlich enger und sie ritten praktisch Knie an Knie, als sie schließlich leise sagte: „Das wisst Ihr genausogut wie ich. Zum einen seid Ihr ein Ta'vaeren und je länger ich in Eurer Nähe bleibe, desto mehr erfahre ich über deren Eigenschaften. Es ist einfach notwendig, mehr darüber zu erfahren, wenn ich in der Lage sein will, dem Wiedergeborenen Drachen irgendwie von Nutzen zu sein.“ Da Mat damit gerechnet hatte, dass es auf Rand hinauslaufen würde, war er darauf vorbereitet und verdrängte die Bilder schnell wieder aus seinem Kopf, bevor sie sich deutlicher zeigten. Obgleich sie seine wenig verzückte Miene bemerken musste, fuhr sie ohne Unterbrechung fort. „Trotz all meiner Vorbereitung weiß ich noch immer bei Weitem nicht genug, um in der Letzten Schlacht alle Gegebenheiten richtig einschätzen zu können. Zum Zweiten...“ sie schenkte ihm einen Blick, der von Entschlossenheit aber auch stark von Verzweiflung zu künden schien „...muss ich Rand unbedingt finden und Ihr seid nun einmal meine beste Chance, das zu erreichen. Bevor er bei Tarmon Gaidon ficht und alles zu spät ist.“ Die andauernde Erwähnung Rands und dann auch noch der Letzten Schlacht machte es ihm nicht gerade leicht, diese verdammten Bilder fernzuhalten. Dabei wusste sie doch genau, warum er die ständige Erwähnung Rands nicht leiden konnte! „Wenn Ihr Rand treffen wollt, bevor Tarmon Gaidon vorbei ist, dann wartet doch gleich am Shayol Ghul auf ihn!“ Mat bemerkte weder den scharfen Tonfall, in dem er sprach, noch den ungläubig-verblüfften Blick Moiraines. Für einige Sekunden war das einzige, was er wahrnahm, Rand, wie er mit einem grauhaarigen Mann sprach, der nach seiner Kleidung zu urteilen vom fahrenden Volk stammen musste. Abgesehen von dieser wenig erfreulichen Unterhaltung war der Aufstieg lediglich kalt, schweigsam und eher langweilig. Obwohl sie die zwei folgenden Nächte jeweils im Schutz einer Höhle verbrachten, war es am Morgen eisig kalt. Allerdings war das wohl nicht Moiraines Schuld, denn Olver berichtete ihm, dass Edesina, Teslyn und Joline in den Nächten wechselseitig Wache gehalten hatten. Die Blicke, die alle drei „Lady Alys“ zuwarfen, waren kälter als der pfeifende Wind, wann immer sie irgendwo lagerten. Am vierten Tag in den Verschleierten Bergen kamen sie am frühen Nachmittag in ein breites Tal. Auf einer Länge von mindestens einer Meile lagen unzählige Felsbrocken in allen Größen verstreut und die umgebenden Berghänge zeigten seltsam regelmäßige Formen. Mit all den sechseckigen pfeilerartigen Strukturen, die gelegentlich neben all dem Gesteinsschutt von nahezu quadratischen Stufen durchbrochen wurden, wirkte alles hier, als sei es künstlich. Mat erinnerte sich nicht daran, selbst einmal hier gelandet zu sein, aber die Erinnerungen Kureons, des Wanderers, in ihm behaupteten etwas anderes. Der Mann hatte Monate hier zugebracht, um den Pass zu finden, den er hier vermutete, ohne ihn je zu finden. Dreimal war er hierher zurückgekehrt, ohne jeden Erfolg. Beim letzten Mal hatte er auf dem Rückweg den Halt verloren, als... Energisch verdrängte Mat alles, was folgte. „Hier muss er irgendwo sein, der Zugang.“ ließ Kirunin sich vernehmen und Naellim nickte zustimmend. „Es war ein recht breiter Durchgang, er sollte leicht zu finden sein“ fügte er hinzu. So zuversichtlich die beiden auch klangen, blieb Mat skeptisch. Zwar war er von seinen fremden Erinnerungen nicht begeistert – um es vorsichtig auszudrücken – doch bisher hatte es keinen Grund gegeben, an ihrem Wahrheitsgehalt zu zweifeln. Dennoch war er keineswegs glücklich, recht zu behalten. Den ganzen restlichen Tag lang wanderten der Domani und der Taraboner Seite an Seite in den Berghängen des Tals herum, ohne ihren Durchgang zu finden, und auch Vanin und die Rotwaffen, die Mat bald zur Unterstützung schickte, konnten keine Spur des Durchganges entdecken. Er sollte eigentlich leicht zu finden sein, musste er doch in der Nähe eines eher frischen Erdrutsches liegen, der ihn freigelegt hatte. Natürlich waren sie nicht besonders viele Suchende und es gab zahlreiche Einkerbungen und sogar Höhlen hier, aber trotzdem war dieser Talkessel übersichtlich genug, um Mat am Wort der beiden Hauptleute zweifeln zu lassen. Er selbst hielt sich an das eigentliche Tal, um mögliche Spuren des Wegs der Flüchtlinge auszumachen, doch er fand absolut nichts. Es schien, als hätte sich hier seit Jahrhunderten kein einziger Stein von der Stelle bewegt. Und das war völlig unmöglich, wenn seine beiden Führer die Wahrheit gesagt hatten! Da sie bis zum Abend nichts gefunden hatten, was auf einen Durchgang hindeutete, war die Stimmung gedrückt. Die beiden Hauptleute beteuerten mehrmals, das Tal eindeutig wiederzuerkennen, und hatten keine Erklärung dafür, warum sie den Pass nicht wiederfinden konnten. Neben den seltener werdenden Zeichen der Bergleute hatten sie gelegentlich auch kleine Pfeile entdeckt, die von den Flüchtlingen stammten. Im Grunde war es ausgeschlossen, dass sie hier falsch waren. Als er am nächsten Morgen in seinem Zelt erwachte, war es noch dunkel, also ließ er Thom, Olver und Noal mit denen er sich das Zelt teilte, noch weiterschlafen. Wegen des Schnarchens des alten Gauklers hatte er nicht besonders gut in den Schlaf gefunden. Trotzdem fühlte er sich wach und fit. Geradezu aufgeladen vor Energie und voller innerer Spannung, die sich entladen wollte. Es war ein Schock, als er heraustrat und die Sterne noch am Himmel funkeln sah. Er hätte schwören können, dass es schon heller Morgen sein musste! „Es scheint, dass die Sonne uns heute nicht mit ihrer Anwesenheit beehren möchte.“ Ohne ihre wohlbekannte und wie immer ungerührte Stimme hätte er Moiraine nicht erkannt. Dafür war es einfach zu dunkel, obwohl er im schwachen Schein der Sterne auszumachen glaubte, dass sie das gleiche hellblaue Kleid trug, wie sonst. „Was ist passiert?“ fragte Mat zurück, so leise er es zustande brachte. „Ich könnte schwören, dass es schon hell sein müsste!“ Zwar hörte er seine Beunruhigung selbst heraus, doch die Aes Sedai klang völlig ruhig und gelassen, ganz wie sonst. „Die letzten Tage sind angebrochen, Mat. Der Dunkle König legt seinen Schatten immer tiefer über die Welt und das Muster. Wer kann schon sagen, ob er die Kraft hat, die Ankunft des Lichts bis zur letzten Schlacht zurückzuhalten?“ „Aber wir müssen doch etwas tun können! Irgendetwas!“ Erschrocken wandte sein Blick sich zu den Sternen, die statt der Sonne am Himmel funkelten. Seine Stimme war kaum mehr, als ein heiseres Flüstern. Moiraines leises Lachen jagte ihm eisige Schauer über den Rücken. Er hörte die Angst darin diesmal eindeutig heraus. „Was können wir schon tun, außer zu hoffen?“ Und wie durch ein Wunder zeigte sich nach diesen Worten überraschend ein heller Streifen am Horizont. Der Morgen kam spät und verblüffend plötzlich, aber er kam. „Ist dies der letzte Tag oder nur ein erster Versuch?“ die Aes Sedai klang nicht, als erwarte sie eine Antwort, sondern wandte sich nach einem kühlen „Ihr solltet Euren Weg besser schnellstens finden, Mat“ in Richtung des Zeltes, das sie für sich allein hatte. „Sie hat Angst.“ Mat hatte nicht einmal bemerkt, dass Noal das Zelt inzwischen verlassen hatte. Der knorrige alte Mann klang verwundert und das zu recht. Aes Sedai waren nicht dafür bekannt, Angst zu haben, eher schon, sie zu verbreiten. Auch er hatte Angst, Licht, und ob er Angst hatte! aber es lag ihm fern, die Gründe dafür weiter zu vertiefen. „Lasst uns diesen blutigen Durchgang endlich aufspüren, Meister Charin. Kommt!“ Sein barscher Ton schien Noal nichts auszumachen und so machten sie sich zu zweit auf die Suche, während das Lager noch erwachte. Nervöse Blicke folgten ihnen, als sie das Lager hinter sich ließen. Er war offenbar nicht der einzige, dem die ungewöhnlich lange Nacht zu schaffen machte. Unbewusst hielt Mat Kurs auf die aufgehende Sonne. Noch nie war er so froh gewesen, einen Sonnenaufgang zu erleben! Seinen Hut schob er aus einem inneren Impuls heraus weiter nach hinten, damit sein Gesicht vom Licht mehr erhellt wurde, und seinen Aschandarei hielt er fest in seinem Griff, während er sich einen Weg durch diese karge Geröllwüste suchte. Bemüht, sich von der beunruhigenden Vorstellung zu befreien, der letzte Tag würde gerade anbrechen, stierte Mat im Gehen auf den Boden zu seinen Füßen, um nach Spuren Ausschau zu halten. Zu seiner Verblüffung fand er tatsächlich etwas, sobald sie am Ostrand des Tals angekommen waren. Auf einer etwa einen halben Schritt hohen und fünf Schritt breiten Steinstufe, die wie so vieles hier in ihrer Regelmäßigkeit geradezu künstlich wirkte, entdeckte er einen Schriftzug – und auf der Felsstufe darüber war auch einer. Wieso hat das gestern niemand entdeckt? fragte er sich mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Die erwartungsvolle Stimmung in seinem Innern, mit der er aufgewacht war, nahm eher noch zu. Er fühlte sich, als müsse die Spannung sich bald entladen, wenn er davon nicht zerrissen werden wollte, es musste sein verdammtes Ta’vaeren sein! Misstrauisch blickte er sich um, konnte aber außer Felsen und Geröll nichts entdecken. Und außer Noal, der ihn jetzt neugierig musterte. „Habt Ihr etwas gefunden, Mat?“ Dann entdeckte auch er die Schrift und der knorrige alte Mann war sichtlich überrascht. „Das ist die Alte Sprache. Wirklich seltsam, dass mir das gestern nicht aufgefallen ist, obwohl ich auf genau diesen Stufen bis zur Felswand oben geklettert bin.“ Mit gerunzelter Stirn kratze der Mann sich dann am Kopf. „Ich würde sagen, das hier heißt >Diese Zeit wandelt sich<, aber weiter oben kommt vielleicht noch mehr, was den Sinn wieder verändern könnte. Ich habe beim besten Willen keinen Schimmer, was damit gemeint sein mag.“ Aufmerksam trat Noal auf die unterste Stufe herauf und suchte, offenbar vergeblich, nach weiteren Zeichen. „>Heute verändert sich ... wasauchimmer< ist näher dran, glaube ich...“ Mat verstummte, als ihm bewusst wurde, was er da sagte. Es war, als würden diese vom Licht verfluchten Steinstufen zu ihm sprechen! Gemeint war mit dem ersten Schriftzug eindeutig der Moment, in dem er selbst sich gerade befand, es konnte nicht anders sein! Heute, jetzt, hier! Noal mochte alt sein, aber eine Spur wie diese hätte er niemals übersehen, da war Mat sich sicher. Die einzige Erklärung wäre, die Schrift war gerade erst erschienen. Dafür allerdings war die Oberfläche nicht frisch genug. Sie sah bei den Schriftzeichen nicht weniger alt aus, als die Felsstufe selbst, vielmehr hatte er bei näherem Hinsehen fast den Eindruck, beide Oberflächen seien der Witterung gleich lange ausgesetzt gewesen. Vielleicht schon seit der Zerstörung der Welt oder gar länger. Natürlich war das bei hartem Granit wie diesem hier schwer zu sagen. Auch wenn der Lichteinfall die keilförmigen Einkerbungen heller oder dunkler als das umgebende Gestein wirken ließ, war er da trotzdem ziemlich sicher. Mit einem drängenden Gefühl trat auch er hinauf. Er konnte seinen Blick nicht von der unerklärlichen Schrift auf dem Fels lösen und fand auch auf der dritten Stufe, in direkter Linie mit den beiden anderen Worten ein drittes. mi’don bedeutete etwa >Ich tue< oder >Ich beginne etwas<, das war noch nicht ganz klar. Meist bezog es sich auf etwas Wichtiges. Allerdings konnte es in dieser Form nur am Beginn eines Satzes stehen, was die Bedeutung des ersten Teils klarstellte. Das alles war ihm praktisch umgehend klar, ohne den Umweg über seinen Verstand zu nehmen. „Jetzt beginnt die Veränderung.“ murmelte er halblaut. „Ja, das könnte hinkommen, Mat. Es könnte vielleicht...“ mitten im Satz verstummte Noal mit offenem Mund und starrte auf den dritten Schriftzug direkt vor Mat. „Licht, seng mich alten Narren! Das war gerade noch nicht da!“ Doch Mat hörte ihn kaum, sondern tat den nächsten großen Schritt nach oben. Und den nächsten. Seine Füße bewegten sich wie von allein und er glaubte fast zu spüren, wie der Boden leicht unter ihnen vibrierte. Wort für Wort erschien auf den Stufen, bevor er sie betrat. Er sah nie, wie sie sich bildeten, sie waren einfach da. Ohne darüber weiter nachdenken zu müssen, setzten sie sich in seinem Kopf zu ihrer Bedeutung zusammen. Wie im Traum sprach er aus, was er gelesen hatte, sobald es verstanden war, während ihm Noal fasziniert folgte. „Ich muss diesen Weg beschreiten, weil es das Muster so bestimmt hat. Das alte Volk der Bergheimat ist mit mir zurückgekehrt, um erneut die Hilfe der Alten zu erbitten. Diesmal werde ich sie bekommen! Die Erinnerung soll nicht verblassen, bis der Schatten vergangen ist!“ Innerlich bebte alles in Mat vor Angst und Verwirrung und dieser unerträglichen Spannung, die ihn vorwärts trieb. Er hastete jetzt beinahe diese unförmig großen Stufen hinauf, ohne aufhören zu können. Irgendwann musste es doch vorbeigehen! Licht! Wird es jemals wirklich für mich vorbei sein? „Ich werde nicht weichen, so wie die, die vor mir kamen! Ich sah die vier Stämme, doch jetzt ist die angekündigte Zeit gekommen, da auch der fünfte Stamm sich zeigen muss!“ Schwankend kam Mat auf der obersten Stufe zum Stillstand. Im Grunde hatte er keine Vorstellung davon, was er da gerade von sich gegeben hatte. Er wusste nur, dass das, was er auf den Stufen gelesen hatte, der Wahrheit entsprach, das hatte er ganz deutlich gespürt. Das drängende Gefühl in ihm war jetzt verschwunden und er blickte sich schnaufend und erleichtert um. Es schien, dass nichts Weltbewegendes passiert war. Im Gegensatz zu den meisten Felswänden dieses Tals zeigte die vor ihm nicht achteckige Pfeiler, sondern war glatt und beruhigend normal anzuschauen. Er strich mit der Hand über den Stein und wandte sich dann misstrauisch um. Was ist da gerade mit mir passiert? Von hier aus hatte man eine recht gute Übersicht über dieses Tal. Die Zelte des Lagers wirkten trotz der vielen Felstrümmer, die überall verteilt lagen, wie Fremdkörper in diesem Areal der regelmäßigen Formen und außer Noal war niemand in unmittelbarer Nähe. Der Mann schien kaum weniger verblüfft zu sein als er selbst und murmelte „Jetzt habe ich wirklich alles gesehen!“ Mat wollte ihn eben fragen, ob er verstanden hätte, was er gesagt hatte und ob er vielleicht wusste, was das zu bedeuten hatte, als der Mann plötzlich mit großen Augen auf den Fels hinter ihm starrte. „Ich hätte nicht geglaubt, dass ich noch einmal einen von Eurer Sorte wiedersehe“ hauchte Noal staunend. |
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