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18. Nesan

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Auf die andere Seite

Unruhig rutschte Mat auf dem Stuhl herum, den sie für ihn gemacht hatten. Das lag nicht etwa daran, dass er so unbequem gewesen wäre – das natürlich auch, immerhin war er aus hartem, kaltem Stein – sondern eher an seinen Gastgebern. Ein unterschwelliges Brummen kam von der Stelle, an der sich ein gutes Dutzend der eigenartigen Gestalten versammelt hatten, immer wieder durchbrochen von entnervend plötzlichen Pfeifgeräuschen oder gelegentlich sogar fast normal klingenden Lauten, die allerdings ohne jede Bedeutung für ihn blieben. Sie könnten sich wenigstens in der Alten Sprache unterhalten. Immer wieder sah er, wie sich beim einen oder anderen die Haare im Nacken aufrichteten. Ein seltsames Bild, bei dem auch ihm sich die Haare sträubten. Er zweifelte nicht daran, dass er eine hitzige Diskussion beobachtete. Leider hatte er keine Ahnung, worüber eigentlich.

Ich hätte darauf bestehen sollen, dass Noal mitkommen darf, dann hätte ich jetzt wenigstens jemanden zum Reden. In Zukunft werde ich es mir zweimal überlegen, die phantastischen Geschichten dieses Mannes als Märchen abzutun. Männer mit Gesichtern auf den Bäuchen? Licht! Wenigstens konnte er hoffen, dass diese Burschen wirklich so harmlos waren, wie der Mann behauptet hatte. Bisher hatte es durchaus den Anschein.

Die Atha’an M’taal , was man annähernd mit „Steinvolk“ übersetzen konnte, waren sogar noch größer als Ogier, wenn auch nicht viel. Sie erinnerten von der Körperform her an schlanke Eier mit Armen und Beinen. Zumindest von vorne, von der Seite her waren sie eher birnenförmig. Ihr kurzes, fellartiges Haar, das in Farbtönen von grau bis weiß vorkam, bedeckte die obere Hälfte ihres Körpers fast vollständig und zog sich bei den größeren, die Mat für männlich hielt, auch in schlanken Streifen die Rückseiten von Armen und Beinen herunter. Besonders bei denjenigen mit weißem Haar verstärkte dies den „eiartigen“ Eindruck noch, auch wenn er natürlich weit davon entfernt war, entsprechende Vergleiche anzubringen. Es fiel auf, dass die Beine so stämmig waren, wie man es bei solch massigen Gestalten erwartete, die Arme jedoch zu klein geraten schienen. Gelegentlich zuckten auch kleine Haarbüschel an den Seiten ihrer „Köpfe“, wo er die Ohren vermutete. Untenrum trugen alle schürzenartige Kleidungsstücke, die wie aus bunt glänzenden Fischschuppen gemacht wirkten, die dafür aber viel zu groß waren. Zumindest hatte er noch nie von Fischen gehört, deren Schuppen fast handtellergroß waren. Daneben trugen sie allerdings keinerlei Schmuck, so dass sie trotz der glitzernden Schürzen eher bescheiden wirkten.

Am seltsamsten jedoch waren eindeutig die Gesichter der Atha’an M’taal. Sie lagen so, dass Mat ihnen fast geradeaus in die Augen blicken konnte, also etwa in der Körpermitte. Es wirkte tatsächlich, als hätten sie die Gesichter dort, wo der Bauch sein sollte. Nasen waren kaum vorhanden, sondern nur leicht erhöhte „Nüstern“, die im Vergleich zum Rest des Körpers zu klein wirkten. Die Münder waren ebenfalls zu klein und schienen sich kaum zu bewegen, wenn sie miteinander sprachen. Wie auch immer sie dieses tiefe Brummen erzeugten, das Hauptbestandteil ihrer Sprache war, ihren Mund brauchten sie dafür jedenfalls nicht. Nur wenn sie ihm gegenüber die Alte Sprache gebrauchten, erklangen daraus diese merkwürdig hohen Stimmen. Ihre Augen, die in blassgelben bis grellroten Pastelltönen schimmerten, waren etwa so groß wie bei einem Ogier, doch mit winzigen schwarzen Pupillen in der Mitte, die sich allerdings kaum bewegten. Wollte einer von ihnen den Blickwinkel verändern und sich beispielsweise statt des einen dem anderen Nebenmann zuwenden, dann drehten sie gleich den ganzen Körper auf ihren dicken Beinen herum.

Mat hatte das Gefühl, langsam schwindelig von all dieser Zappelei zu werden, und richtete seinen Blick wieder auf die Höhlenwände um ihn herum. Erhellt von zahlreichen eher schwachen Laternen, die ohne Feuer ein gelbliches Licht verbreiteten, zeigten die Felsen rundherum keinerlei natürliche Formen. Alles war verziert mit kompliziertesten Mustern, die in Größen von mehreren Spannen Dicke bis zu kleinsten Verästelungen vorkamen, die man kaum noch ausmachen konnte. Übereinander oder nebeneinander, aber meistens einfach durcheinander. Auch wenn diese Muster sehr fließend ineinander übergingen, war dieses Durcheinander ebenfalls dazu fähig, einen schwindelig zu machen, denn es gab keinen Fixpunkt darin, sondern sein Blick schweifte automatisch von einer fließenden Form zur nächsten. Gerade folgte er mit den Augen einer neuentdeckten Form. Von dem Eingang her, durch den er den Kuppelsaal betreten hatte, zog sich ein schlangengleich gewundener und vier Spannen breiter Strang nach links und dann aufwärts. Bisher war diese Form verblüffenderweise zu groß und zu deutlich gewesen, um sie zwischen all den anderen Verzierungen auszumachen. Nach einem ganz automatischen seitlichen Schwung seines Kopfes blickte Mat plötzlich senkrecht nach oben, wo der Strang ohne Vorwarnung in eine deckenüberspannende Spirale überging, die von vielen weiteren Mustern überlagert wurde und nur erkennbar war, wenn man wusste, wo sie sich befand. Und darauf erkannte er jetzt weitere Spiralen, und weitere, immer kleiner und kleiner...

Mit einem Ruck riss er sich von dem Anblick los und schloss die Augen. Diesmal war er wirklich schwindelig geworden, alles drehte sich in seinem Kopf. Lichtverfluchte Steinschnörkelkunst, verdammte! Die Verlockung war groß, einfach auf den Boden zu starren, um den Mustern zu entgehen, denn der war völlig eben und grau. Leider erinnerte er sich nur zu gut an Noals Warnung. „Im Grunde sind sie harmlos und gutmütig...“ hatte er mit gleichbleibend tiefer Stimme gemurmelt „...solange man offen mit ihnen umgeht. Wenn man tief und leise genug spricht, können sie einen nicht einmal hören. Allerdings solltet Ihr es vermeiden, die Gemeinsprache zu verwenden, denn das mögen sie nicht, weil sie sie nicht verstehen. Auf keinen Fall solltet Ihr zu Boden zu blicken, denn das können sie garnicht leiden und es weckt ihr Misstrauen. Für sie hat jemand, der zu Boden blickt, etwas Schlimmes zu verheimlichen.“ Nun, das erklärte, warum der Boden so trist war, überlegte er säuerlich, jeder, der etwas zu verbergen hatte, musste zur Strafe auf Schnörkelkunst verzichten. Statt auf den Boden zu blicken, nahm er also lieber sein Medaillon aus seinem Hemd und betrachtete den vertrauten Fuchskopf, während er seine Gedanken schweifen ließ.

Ghyrrill, wie sich der Bursche nannte, dem sie als erstes begegneten, war offenbar verblüfft, dass Noal schon Atha’an M’taal getroffen hatte, beschränkte sich jedoch zunächst darauf, sie zu fragen, welcher von ihnen „mit den Steinen gesprochen“ hatte. Nur mühsam gelang es Mat, seiner Überraschung angesichts dieser absonderlichen Erscheinung Herr zu werden und halbwegs fest zu antworten. Dann bestand der Bursche darauf, dass Mat, und nur Mat, ihn begleiten müsse, aber weitere Begleiter nicht erlaubt seien. An Noal gewandt fügte er hinzu, dass Mats Bitte vorläufig stattgegeben wurde und er dies den anderen mitteilen möge. „Euer Weg ist nun frei“ sagte er und ganz eindeutig schwang Ungeduld in der hohen Stimme mit. Den Höhleneingang, der sich anstelle der Felswand befand, die einfach verschwunden zu sein schien, verließ er zu keinem Zeitpunkt, und so, wie er seine Augen mit der Hand abschirmte, war wohl selbst das noch trübe Licht dieses frühen Morgens für ihn ungewohnt hell.

Er kam nicht dazu, viel dagegen einzuwenden, denn Noal schien zu glauben, dass Mat damit eine ungeheure Ehre zuteil wurde. „Einer von ihnen hat einmal mein gebrochenes Bein geheilt, aber er hat nur wenig mit mir gesprochen.“ erklärte er mit tiefer Stimme. Das passierte angeblich nahe der Klippen der Dämmerung, welche die Aiel-Wüste von Shara trennten, aber es war nur wenig Zeit für Erklärungen, denn Ghyrrill wandte sich bereits ab und ging wieder hinein. Sicherlich in dem Glauben, Mat würde ihm folgen. Was er schließlich auch tat, denn – er machte große Augen, als er das sah – die Felswand bildete sich direkt vor seinen Augen von den Seiten her neu und wäre bei diesem Tempo bald wieder geschlossen. Er spürte den Boden unter seinen Füßen vibrieren, während dies geschah, und es dauerte an, bis die „Tür“ sich geschlossen hatte.

Man führte ihn in diesen riesigen Kuppelsaal, wo die übrigen bereits warteten, und bot ihm einen Stuhl an, während sie sich beraten wollten. Nirgends schien es auch nur den Hauch eines Möbelstücks zu geben, wie er verwundert feststellte. Auch andere Gebrauchs- oder Ziergegenstände fehlten völlig. Weil er nichts sah, das dagegen sprach, nahm er das Angebot an – und konnte erstaunt verfolgen, wie unter durchdringendem Brummen seines Führers eine Form aus dem Boden wuchs, die sich innerhalb kürzester Zeit zu einem ähnlich reich wie die Wände verzierten Stuhl entwickelte.


Zu eben jenem, fest mit dem Boden verwachsenen Stuhl, auf dem er jetzt schon wieder ungeduldig herumrutschte. Diese Besprechung musste schon mindestens zwei Stunden dauern und es schien kein Ende in Sicht zu sein. Er wollte es sich mit seinen Gastgebern bestimmt nicht verderben, also fasste er sich nach wie vor in Geduld, aber er wünschte, jemand würde ihm erstmal einige Fragen beantworten. Bisher hatte er nur gesagt bekommen, dass später dafür Zeit sei. Auch gegen einen kleinen Imbiss hätte er nichts einzuwenden gehabt. Weil er nicht damit gerechnet hatte, sich plötzlich im Inneren eines Berges zu befinden, hatte er nicht einmal eine Feldflasche dabei. Du hättest eben damit rechnen müssen, dass sowas passiert, wenn du einfach aufs Geratewohl losstapfst. Lichtblinder Narr!

Es war kein angenehmes Gefühl, auf diese Steinleute angewiesen zu sein, über die er praktisch gar nichts wusste. Unwahrscheinlich, dass er ohne ihre Hilfe wieder hier herauskam, denn gegen Felsgestein konnte auch sein Ashandarei nicht viel ausrichten. Um sich von solch trübseligen Gedanken abzulenken, dachte er schon die ganze Zeit über alles nach, was ihm sonst so in den Sinn kam – außer Rand und Perrin natürlich. Alles war besser, als erneut die verschlungenen Muster an den Wänden anzuschauen!

Er dachte an Tuon und betrachtete dabei abwesend den Siegelring an seinem Finger, an dem sie ihn erkannt haben wollte. War sie wirklich sicher in Ebou Dar angekommen? Er hoffte es. Er dachte an Emondsfeld und seine Eltern, hoffte, dass sie in Sicherheit waren und das unausweichlich Kommende heil überstehen würden.. Und er dachte an die anderen, die sich jetzt im Lager ein gemütliches Frühstück gönnen konnten, während sie auf ihn warteten. Teslyn hatte behauptet, sie wisse nicht, warum sie seiner Mutter gegenüber geplaudert hatte. Dass er verheiratet war, sei einfach von selbst aus ihr herausgeströmt, als sie von Natti nach Mats Frauenbekanntschaften gefragt worden war. Das war nur Augenblicke vor der Ankunft der beiden Hauptleute gewesen. Sie musste es nicht deutlicher sagen, er wusste auch so, dass sie sein blutiges Ta’vaeren dafür verantwortlich machte. Er dachte auch an die Bande, und fragte sich, wie weit sie ihn nun wohl voraus sein mochte und ob er sie nun noch einholen könnte. Ob seine Männer Caemlyn schon passiert hatten? Durchaus möglich, wenn Talmanes gut vorangekommen war und keine Hindernisse auftauchten. Er hoffte, der Mann hielt sich an den von ihm verordneten Sicherheitsabstand zur Schwarzen Burg und kam ihr nicht näher als...

Ein schriller Pfiff, der offenbar von mehreren der Steinleute zugleich ausgestoßen worden war, unterbrach diese Überlegungen, und er wandte seine Aufmerksamkeit wieder voll seinen Gastgebern zu. Zwei von ihnen verließen die Höhle durch verschiedene Gänge, die meisten anderen blieben stehen, wo sie waren, doch drei von ihnen, darunter auch Ghyrrill, kamen jetzt auf ihn zu. Na endlich! Er erhob sich und trat ruhig auf sie zu. Dutzende von Fragen zogen durch seinen Verstand, und verlangten gleichzeitig nach einer Antwort. Wer seid ihr? WAS seid ihr? Warum habt ihr mich eingelassen, aber nicht Noal? Über was habt ihr beraten und was kam dabei heraus?...

Doch bevor er sich entscheiden konnte, welche dieser Fragen er zuerst stellen sollte, ergriff der mittlere Steinmann mit einer noch höheren Stimme als Ghyrrill das Wort. Er hatte helles graues Haar und Mat hielt ihn für weiblich, auch wenn er dafür nur die unbehaarten Arme als Hinweis hatte. „Die Steine wissen, dass Du voller Neugier bist, A’an, aber auch wir müssen noch einiges erfahren, bevor wir eine endgültige Entscheidung treffen. Da Du meinen wirklichen Namen nicht aussprechen könntest, kannst Du mich...“ sie schien kurz zu überlegen „...Ma’atha’ar nennen. Was gibt es Neues von den Stämmen zu berichten? Außer zu den Atha’an Aridh haben wir kaum Kontakt zu Fremden, und selbst bei ihnen sind die letzten Besuche lange her.“

„Und was ist beim Turm des Ghenjei passiert?“ wollte der dritte Steinmann wissen. Er glaubte zumindest, dass dieser ein Mann war. „Wir spürten vor kurzem bei ihm eine Veränderung, die wir uns nicht erklären können. Sicherlich hast Du ihn betreten, wenn Du die Atha’an Ael und Atha’an Eel getroffen hast, wie wir hörten.“

Mühsam sortierte Mat erstmal, was sie überhaupt von ihm wollten. Ihre Version der Alten Sprache war seltsam schwer zu verstehen und es wurden Worte benutzt, die selbst in seinen ältesten Erinnerungen schon veraltet waren. A’an sollte wohl etwas wie „Bürger“ heißen und war wohl hier die übliche Anrede. Das war durchaus einmal gebräuchlich gewesen, allerdings lange vor der Gründung Manetherens. Die Bezeichnung Ma’atha’ar machte zumindest deutlich, dass es sich hier tatsächlich um eine Frau handelte und dass sie hier wohl das Sagen hatte. Aber Atha’an Aridh, also „Volk der Pflanzen“ sagte ihm garnichts. Wenn sie allerdings die Aelfinn als Atha’an Ael, „Volk des Sehens“, und die Eelfinn als Atha’an Eel, also „Volk des Fühlens“ bezeichneten, waren mit dem Pflanzenvolk vermutlich die Ogier gemeint. Während er von drei neugierigen Augenpaaren gemustert wurde, kam er zu dem Schluss, dass die Anrede A’an vielleicht eher dazu diente, die für Menschen gebräuchliche Bezeichnung zu vermeiden. Vielleicht war es eine Art Abkürzung, aber wofür? Und was den Turm von Ghenjei betraf, hatte er kein Bedürfnis, sich darüber näher auszulassen. Er ignorierte folglich die letzte Frage und wandte sich lieber an die Anführerin.

„Was versucht ihr denn eigentlich zu entscheiden? Worum ging es bei eurer Beratung?“ Er kniff die Lippen zusammen, um nicht hinzuzufügen „Ich habe nicht die blasseste Ahnung, was ich hier soll oder was ihr von mir wollt.“

„Natürlich um Deine Bitte, den Pass zu öffnen.“ kam es belehrend von Ma’atha’ar zurück. Sie klang überrascht, dass er das nicht wusste.

„Aber ich bin hier, um den Pass zu schließen.“ gab er stirnrunzelnd zurück.

Ihre Verblüffung war deutlich. Nicht nur, dass sie alle drei blinzelten. Während sie sich auf ihren Beinen drehten, um sich hektisch mal dem einen und dann dem anderen zuzuwenden - was so komisch wirkte, dass er unter anderen Umständen sicherlich darüber gelacht hätte – erklang von allen dreien ein tiefes Brummen, das ihm aus dieser Nähe durch Mark und Bein ging.

Nach einer kleinen Weile erklang von Ma’atha’ar ein schriller Pfiff, der die Debatte beendete, und sie wandte sich wieder zu ihm. „Das verstehen wir nicht. Deine Vorfahren kamen, um den Pass zu öffnen, auch wenn wir das damals noch nicht gestatten konnten. Wir glaubten, Du seist aus demselben Grund hier.“

Seine Vorfahren? Damit musste sie die Einwohner Manetherens meinen. „Aber der Pass ist doch bereits geöffnet. Viele haben ihn schon überquert, darunter zwei, die mich begleiten.“ Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie die ganze Zeit aneinander vorbei redeten.

„Der alte Pakt ließ uns keine andere Wahl, als sie durchzulassen, denn sonst wären sie gestorben. Das musst Du doch wissen.“ Sie schien noch immer verwirrt, genau wie die beiden Männer. Es war ein seltsames Gefühl, von riesigen verwirrten Eiern auf Beinen umgeben zu sein. Wirklich sehr seltsam, auch wenn er sich nicht bedroht fühlte. Trotz ihrer Größe und des sonderlichen Aussehens machten sie einen sehr friedlichen Eindruck. Auch andere waren jetzt näher getreten, wandten sich einander wechselseitig zu, und er spürte mehr, als er hörte, dass sie leise brummten. Sie flüsterten untereinander, ging ihm auf.

„Woher, beim Licht, sollte ich das wissen?!“ Zwei Stunden hatten sie ihn auf dem kalten, harten Stuhl warten lassen, um über etwas zu diskutieren, das er nicht einmal wollte! Zwei blutige Stunden! „Ich habe noch nie von diesem Pakt gehört! Blut und Asche, vielleicht sagt ihr mir jetzt endlich mal, was hier eigentlich los ist!“

„Ihr kennt den Pakt nicht?“ hauchte die Anführerin. Jegliches Brummen war verstummt. Keiner wackelte noch herum, sondern alle starrten ihn an. „Warum kennt Ihr den Pakt nicht?“ Die sonst so respektvolle Anrede klang hier eher, als wolle sie Distanz aufbauen, schließlich hatte sie ihn zuvor einfach geduzt.

All diese Blicke aus hell funkelnden Augen ließen seinen Zorn schnell dahinschmelzen. Er betete, dass er nichts Falsches gesagt hatte. So harmlos und schwerfällig sie auch wirkten, wollte er sie bestimmt nicht wütend machen. Sein Griff um den Ashandarei wurde fest genug, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er antwortete ruhiger, als er sich fühlte. „Ich kenne ihn eben nicht. Ich wusste ja noch nicht einmal, dass ihr hier seid oder dass es euch überhaupt gibt. Und ich bezweifle, dass selbst in der Weißen Burg viele von diesem Pakt gehört haben, wenn überhaupt jemand. Ich bin nur hier, um diesen Pass wieder zu schließen, damit meine Heimat von dieser Seite her sicher ist, versteht ihr?“

Einen Moment lang wurde er weiter schweigend gemustert. Dann setzte erneut ein leises Brummen ein, während die Herumzappelei von vorne losging. Die Anführerin jedoch, und auch Ghyrrill und ihr anderer Begleiter, schauten weiterhin zu ihm.

„Darum müsst Ihr nicht bitten, A’an, der Pakt besagt, dass nur jemandem, der andernfalls sterben würde, die Überquerung gestattet wird. Eure Vorfahren waren gut genug ausgerüstet, um sicher zurückkehren zu können, doch das galt nicht für diejenigen, die erst vor kurzem kamen. Hätten wir ihnen nicht erlaubt, weiterzuziehen, wären sie sicherlich in den Bergen umgekommen.“

„Ich hätte garnicht herkommen müssen? Ihr würdet sowieso kein Heer diese Berge passieren lassen?“ Verschenkte Zeit! Licht, ich habe mich völlig umsonst auf den Weg gemacht!

„So ist es.“ kam es zurück und Mat stöhnte auf.

Und ewig geht der Esel zum Berg, ohne zu wissen, warum! schalt er sich grimmig. Er hätte schwören können, dass die Würfel, die beim Treffen mit den beiden Hauptleuten verstummt waren, ihn hierher hatten führen sollen, aber warum bloß? Als er diese Stufen hinauf gerannt war, hatte es sich so... richtig angefühlt, hier zu sein, aber nun stellte sich heraus, dass seine Anwesenheit hier völlig überflüssig war. Seine Sorge wegen des Passes war schlichtweg überflüssig. Hat mein Ta’vaeren mich diesmal in die Irre geführt, oder bin ich vielleicht aus einem ganz anderen Grund hier gelandet? Er merkte nicht, dass er dies halblaut vor sich hin murmelte, bis von Ma'atha'an eine Antwort kam.

„Nun, wenn Ihr ein Ta’vaeren seid, dann ist es kein Wunder, dass Ihr uns Veränderungen bringt, und was den Grund betrifft... den Grund, aus dem Ihr hier seid...“ Sie zögerte und brummte dann fragend, ohne den Blick von ihm zu wenden. Ghyrrill und ihr anderer Begleiter – der sich unhöflicherweise noch immer nicht die Mühe gemacht hatte, sich vorzustellen – wandten sich ihr kurz zu und brummten gleichfalls. Es musste wohl eine positive Antwort gewesen sein, denn sie wirkte selbstsicherer, als sie fortfuhr. „Es gibt da eine Möglichkeit. Warum begleitet ihr mich nicht, während ich nachsehe? Es ist nicht weit. Wenn es Euch nichts ausmacht, hätte ich auch noch einige Fragen, die vielleicht Licht in diese Grotte des Unwissens bringen können.“ Es klang, als meinte sie damit genau das, was auch ihn beschäftigte: Zu verstehen, was überhaupt vorging.

Sie wandte sich um und marschierte auf einen der Eingänge zu. Nun, genau genommen war ihr Gang eher ein schwankendes Watscheln. Vermutlich gab es unter der Erde nichts, vor dem man weglaufen musste, und so hatten sie eine schnellere Gangart nicht nötig. Wenn sie wirklich nicht schneller waren, überlegte er weiter, wäre er durch seine Wendigkeit vielleicht sogar doch in der Lage, mit allen zugleich fertigzuwerden. Zumal sie allem Anschein nach nicht über Waffen verfügten. Alleine käme er allerdings wohl nie wieder nach draußen und wer Stühle aus dem Boden brummen konnte, der konnte das bestimmt auch mit steinernen Lanzen oder Wurfspießen. Der Gedanke war beunruhigend kriegerisch und er verdrängt ihn schnell wieder. Er brauchte die abwartenden und erwartungsvollen Blicke der übrigen nicht, um zu wissen, dass er ihr folgen sollte.

Seufzend machte er sich auf den Weg, begleitet vom ständigen Brummen der restlichen Steinleute, die ihm in nur geringem Abstand folgten.

Trennlinie


„Der Pass ist also nur vorübergehend frei?“

Noal hob bei dieser Frage von „Lady Alys“ leicht die Schultern, während er antwortete. „So hat es zumindest geklungen.“

Sie wird nicht warten, erkannte Thom. Unbehaglich zog er an seiner Pfeife. War zuvor Mat recht unangefochten der Anführer gewesen, so hinterließ er jetzt eine beunruhigende Leere. Es gab hier zu viele, die es gewohnt waren, zu befehlen und das Kommando zu übernehmen.

Es war nicht einfach gewesen, Joline davon zu überzeugen, dass es keine gute Idee war, die Felswand mithilfe der Einen Macht zu öffnen. Mat mochte in einer schwierigen Lage sein, aber Noals Bericht – und die wenigen Geschichten, die er selbst über das Volk der Berge kannte – legten nahe, dass sie durchaus von friedlicher Gesinnung waren. Ein unerlaubtes Eindringen war jedoch möglicherweise dazu angetan, dies zu ändern. Es hatte sicher seine Gründe, warum sie so zurückgezogen lebten, und sich darüber hinweg zu setzen, mochte Mat in sogar in Gefahr bringen. Im Moment war er ein Gast, aber wenn seine „Freunde“ sich gewaltsam Zutritt verschafften, konnte sich das schnell ändern. Niemand wusste, was sie im Inneren erwartete, und es war gut möglich, dass sie ihn dort nicht einmal finden würden.

Olver war der einzige außer Joline, der sich nachhaltig dafür ausgesprochen hatte, Mat in den Berg zu folgen. Er hatte natürlich nichts zu bestimmen, aber seine Worte fanden durchaus Gehör. Durch die Vernichtung des Gholáms hatte er sich nicht nur bei den Soldaten Respekt gewonnen. Als Joline sich bereits mürrisch bereit erklärt hatte, zu warten, hatte er noch keineswegs nachgegeben, oh nein! Er hatte argumentiert, dass jeder verstehen würde, wenn sie sich Sorgen um Mat machten, und dass sie sich ja auch für ihr Eindringen entschuldigen könnten. Er selbst vermutete, dass es die Vorstellung war, sich womöglich bei jemandem entschuldigen zu müssen, die Joline schließlich hatte nachgeben lassen.

Vanin und die Rotwaffen schienen ebenfalls hauptsächlich daran interessiert, Mat wiederzufinden. Bei ihnen war die Beunruhigung über den verspäteten Tagesbeginn am stärksten spürbar, weil die Wachen den allzu plötzlichen Sonnenaufgang ja direkt beobachtet hatten. Trotzdem waren natürlich alle anderen mindestens ebenso erschüttert – einschließlich ihm selbst – so dass die Debatte hitziger geführt wurde, als es sonst der Fall gewesen wäre. Wenn der Dunkle König das Muster schon so weit beeinflussen konnte, war Tarmon Gai'don nicht mehr weit, das konnte sich jeder ausrechnen. Hier zu warten, bis Mat wieder auftauchte, war trotzdem die wohl naheliegendste Möglichkeit, was zu tun sei. Vanin hatte dies bereits deutlich gemacht, aber bevor er selbst den Einwand bringen konnte, hatte Noal darauf hingewiesen, dass keineswegs feststand, wo er letztendlich wieder aus dem Berg herauskam. Oder wann, ihre Vorräte waren schließlich nicht unbegrenzt. Der Tunnel, den Noal gesehen hatte, konnte nur einer von hunderten sein, die zu den unterschiedlichsten Stellen führten. Außerdem waren die Atha'an M'taal sich ihrer Anwesenheit hier offenbar bewusst gewesen, also würden sie wahrscheinlich auch wissen, wohin die von hier aus gingen, und konnten Mat dann zu ihnen führen. Auch wenn sie also eigentlich warten wollten, betrachteten es die Rotwaffen doch als ihre Pflicht, die Aes Sedai zu beschützen, und wenn diese sich entschieden, zu gehen, würden sie vermutlich murren, aber mitkommen.

Wenig hilfreich war, dass Egeanin zwar nicht ihre gesamte Gruppe getrennt sehen wollte – das hätte Mat nicht gerne gesehen – aber eine Trennung von den Aes Sedai durchaus befürwortete. Auch hatte sie bereits versucht, sich als Mats Stellvertreter darzustellen, ja, sie schien das für völlig selbstverständlich zu halten. Nach ihrer Auffassung hatten die „Marath'damane“ zu tun, was man ihnen auftrug und ansonsten gefälligst zu schweigen.

Auch die beiden Hauptleute waren es gewohnt, Befehle auszugeben, aber die Anwesenheit von gleich drei Aes Sedai sorgte dafür, dass sie sich nur zögerlich dafür ausgesprochen hatten, in die vermeintliche Sicherheit der Zwei Flüsse zurückzukehren, und ansonsten schwiegen. Ungläubig verfolgten sie mit, wie die Seanchanerin jedes Wort der Aes Sedai beharrlich ignorierte, egal wie imposant sie sich vor ihr aufbauten. Als eine von ihnen, vermutlich Joline, die Frau mit Saidar gefesselt hatte, machte das offenbar keinen besonderen Eindruck. Egeanin trug einfach Bayle Domon in kühlem aber gelassenem Tonfall auf: „Erinnere mich daran, dass ich Mat vorschlage, diese Marath’damane wegen ihres unannehmbaren Benehmens zu züchtigen.“ Er hatte keine Ahnung, warum Joline bei diesen Worten errötete, aber Egeanin war im nächsten Augenblick wieder frei gewesen.

Juilin und Thera hielten sich zwar aus der Diskussion heraus, aber auch sie wirkten besorgt. Das gleiche galt für die beiden Sul'dam. Nach Ideen und Vorschlägen gefragt, wusste keiner von ihnen eine Antwort.

Angesichts dieser Lage überraschte es ihn nicht, als Moiraine verkündete: „Ich habe Besseres zu tun, als hier herumzustehen und zu warten. Wer mich begleiten möchte, kann ja mitkommen.“ Und damit legte sie ihr eher bescheidenes Bündel hinter den Sattel des Grauschimmels, den sie von einem der getöteten Rotwaffen „adoptiert“ hatte, schwang sich elegant hinauf und setzte sich in Bewegung.

Die anderen drei Aes Sedai wirkten verblüfft und die Soldaten und Juilin besorgt. Egeanin öffnete den Mund, um „Lady Alys“ zurückzuhalten, aber als sie erkannte, dass sie gegenüber dieser offenbar nahen Vertrauten von Mat keinerlei Befehlsgewalt hatte, schloss sie ihn wieder. Auch wenn ihr Gesicht keine Regung zeigte, erkannte man ihren Ärger klar an den geballten Fäusten.

Thom fluchte lautlos und wechselte einen Blick mit Noal. Der verdrehte kurz die Augen und seufzte. „Mat wäre nicht erfreut, wenn ihr etwas zustieße.“

Ich habe sie nicht aus diesem verdammten Turm gerettet, um jetzt zuzusehen, wie sie sich umbringt! „Worauf wartet Ihr?“ schnauzte er Vanin an. „Dass sie Euch eine Einladung schickt?“ Es war sonst nicht seine Art, in solchem Ton zu sprechen, aber diese Frau...! Sie hatte das Kommando übernommen, einfach, indem sie losgeritten war! Und er bezweifelte, dass sich jemand fand, der es ihr streitig machte.

Wie sonst auch, hatte er nach dem Aufstehen sein eigenes Bündel bereits gepackt und so war er der erste, der sich in den Sattel schwang, um ihr zu folgen. Erneut wurde er daran erinnert, dass er ihr zumindest seine wiedergewonnene Agilität verdankte. Was immer sie ihm schuldete, es war weniger, als er beanspruchen konnte.

„Ein geschickter Zug.“ raunte er ihr zu, sobald er an ihrer Seite ritt. „Jetzt werden sie Eurer Führung folgen. Einige natürlich widerwillig, aber sie werden es tun. Ihr zieht vermutlich nicht in Betracht, mir zu verraten, was Ihr jetzt vorhabt?“

Sie hatte nicht gezögert, ihm die Namen zu nennen, die sie ihm versprochen hatte. Es überraschte ihn immer noch, dass sie es tatsächlich getan hatte, denn damit legte sie ihre Sicherheit in seine Hände. Sollte je herauskommen, woher er seine Informationen bezogen hatte, würden die Folgen für sie drastisch sein. Natürlich stand außer Frage, dies als Druckmittel einzusetzen. Niemand hatte sie gezwungen, ihm dieses Versprechen zu geben, aber sie hätte sicherlich einen Weg finden können, dies zu umgehen, wenn sie es gewollt hätte. Er fragte sich nach dem Grund für ihr seltsames Verhalten, denn schon mehrmals verhielt sie sich seit ihrer Rettung ihm gegenüber in völlig untypischer Weise für eine Aes Sedai.

„Es war nur das Naheliegendste.“ gab sie abwesend zurück, ohne ihre Augen vom Weg abzuwenden.

Nun, aus ihrer Perspektive war es das wohl wirklich. Sie spielte das Spiel der Häuser noch im Schlaf und eine Gelegenheit wie diese schrie förmlich danach, ergriffen zu werden. Er hatte selbst schon in Betracht gezogen, etwas Ähnliches zu versuchen, aber so klar wie ihr Erfolg wäre es bestimmt nicht ausgegangen und zudem hatte er keine Ahnung, wohin sie sich wenden sollten. Das für ihn naheliegendste war Caemlyn, also der Rückweg zu den Zwei Flüssen. Doch jetzt hatte er zu lange gezögert. Egeanin mochte seinen Rat schätzen und die Rotwaffen ihn respektieren, aber die Aes Sedai schenkten ihm kaum Beachtung, was er normalerweise ja auch guthieß. In diesem Fall jedoch verhinderte es, dass ihm die Führung so leicht zufiele wie Moiraine gerade. Die Aes Sedai wussten, dass sie die Eine Macht lenken konnte – soweit er herausgehört hatte, konnten Frauen so etwas spüren – aber sie wirkte durch ihre Tarnung nicht wie eine Aes Sedai. Zudem schienen Teslyn, Joline und Edesina einen gehörigen Respekt vor ihr zu haben, was keinen rechten Sinn ergab. Alle drei hatten sich bei ihm und Noal wiederholt und energisch nach ihr erkundigt, auch wenn sie beide natürlich nichts preisgaben, doch von Moiraine selbst hielten sie sich fern. Wenigstens hatten sie keinerlei Neigung gezeigt, Moiraine gegenüber Egeanin als weitere Marath'damane bloßzustellen.

Ein paar Augenblicke herrschte Schweigen, als sie sich dem breiten Einschnitt auf der Westseite des Tales näherten. Es war beeindruckend gewesen, zu beobachten, wie massive Felsen sich gemächlich zurückzogen, während ein dumpfes Vibrieren das gesamte Tal in Schwingungen versetzte. Am Ende war das Ergebnis ein natürlich wirkender Durchlass, der gut passierbar war und in dem Kirunun und Naellim eben jenen Weg erkannten, auf dem sie in die Zwei Flüsse gelangt waren. Gleichzeitig waren alle Spuren, die auf ihre Anwesenheit hier hingedeutet hatten, aus dem Staub des Talbodens verschwunden. Kein Wunder, dass nichts hier auf die Anwesenheit der Flüchtlinge hingedeutet hatte!

„Bis wir die andere Seite der Berge erreichen...“ fuhr Moiraine dann leise fort „...ist es sicherlich sinnvoll, als Gruppe zusammen zu bleiben. Wenn Mat allerdings bis dahin nicht zurückkehrt, werden sich unsere Wege trennen. Teslyn und die anderen werden vermutlich versuchen, nach Tar Valon zu gelangen, und die Rotwaffen werden entweder auf Mat warten oder zur Bande zurückkehren wollen. Was Egeanin betrifft, so wird sie vermutlich ihren eigenen Weg einschlagen. Ihr Interesse, auf andere Seanchan zu treffen, ist vermutlich nicht besonders groß. Vieles hängt auch davon ab, was wir auf der anderen Seite vorfinden.“

Soviel konnte er sich auch alleine zusammenreimen, wie sie sehr gut wusste. Trotzdem war sie offener, als es eine Aes Sedai seiner Erfahrung nach in einer solchen Situation sein sollte. „Also wollt Ihr es mir nicht sagen.“ stellte er ruhig fest. „Dabei hatte ich gehofft, inzwischen Eures Vertrauen würdig zu sein.“ Was unter dem Licht lässt Dich wünschen, das Vertrauen einer Aes Sedai zu gewinnen, alter Narr? fragte er sich direkt im Anschluss an seine eigenen Worte. Und doch... Moiraine war anders.

Ohne nachzudenken verhielt er sein Pferd, bevor sie in den Durchgang ritten und Moiraine tat es ihm gleich. Vanin und vier weitere Rotwaffen hatten sie eingeholt und trabten jetzt wortlos voraus, um den Weg zu erkunden. Kein Grund, sie von ihren Aufgaben abzuhalten. Es war unklar, ob sie die Kundschafter auch später noch würden vorbeilassen können, weil der Durchgang in einen gewundenen Pfad überging, der nicht sehr breit war.

Außer den drei Aes Sedai, die noch immer eifrig diskutierten, und vier Rotwaffen, die mit den Packpferden den Abschluss bilden würden, folgten ihnen jetzt alle. Egeanin wirkte noch immer unbeholfen auf einem Pferderücken, aber vermutlich würde sie sich bald zu ihnen an die Spitze gesellen. Er und Moiraine warteten jedoch nicht, sondern ritten gleich hinter Vanin und den anderen her, so dass sie bald außer Sicht waren.

„Ich vertraue Euch mehr, als ich sollte, Thom Merrilin.“ Diesmal schaute sie ihn direkt an. Stolz aufgerichtet nutzte sie jeden Fingerbreit Größe, den sie besaß, und ihre Miene war das gewohnte Abbild der Aes-Sedai-Gelassenheit. Ihre Augen jedoch verrieten tiefe Gefühle, aber er sah sich außerstande, sie zu deuten. Dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf und blickte wieder nach vorne. Sie schien mit sich selbst zu sprechen, als sie leise fortfuhr. „Mag der Schöpfer wissen, warum. Seit über zwanzig Jahren ist Vertrauen für mich ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann. Selbst Siuan gegenüber konnte ich mich nicht überwinden, wirklich offen zu sein. Und Lan! Ich hatte immer das Gefühl, wenigstens Lan vertrauen zu können. Mehr, als bei irgendjemanden sonst. Und doch habe ich vor ihm mehr verborgen, als er jemals ahnen kann. Das Licht gebe, dass er nie erfährt, wieviel ich ihm tatsächlich verschwiegen habe. Doch dieses Kapitel ist jetzt endgültig abgeschlossen. Ich habe dem al'Vere-Mädchen vieles anvertraut, was in ihrer neuen und schwierigen Position nützlich sein wird, aber das geschah mehr, um ihr Potential zu fördern als aus Vertrauen oder Sympathie. Je weniger Fehler sie macht, desto besser werden auch Rands Chancen stehen. Eine simple Logik, die auch eine Weiße nicht bestreiten könnte. In gewisser Weise vertraue ich auch Mat. Zumindest mehr als den meisten. Durch das, was er ist, kann ich es allerdings nicht verantworten, ihm zu viel zu offenbaren.“ Sie seufzte. „Außerdem hätte er wohl kaum die Geduld, mir so lange zuzuhören, bis er wirklich versteht, wovon ich eigentlich spreche.“

„Wohl nicht.“ Thom hatte zwar keine Ahnung, worauf sie hinaus wollte, aber er hörte fasziniert zu. Es kam nur selten vor, dass Moiraine etwas von sich offenbarte, und so offen wie jetzt hatte er sie nie gehört. Sie vertraute ihm? Jetzt, wo er darüber nachdachte, erkannte er, dass auch er ihr gewissermaßen vertraute. Oh, wenn es um Rand ging, konnte sie so verschlossen sein, wie die Schalen einer Panzamuschel, aber davon abgesehen konnte er sich nicht vorstellen, dass sie je grausam oder gewalttätig wäre. Kompromisslos, wo die Lage es erforderte, ja. Oder auch kalt nach außen hin, so wie jetzt. Doch innen, da war er sicher, sah es ganz anders aus. Sie hatte um das Thema Lan bisher einen weiten Bogen geschlagen und er fragte sich, warum sie gerade jetzt darauf kam. Sie konnte doch nicht etwa andeuten wollen, dass er...

Ihre Stimme unterbrach diesen Gedankengang, bevor er ihn ganz zuende führen konnte.

„Was ich jetzt vorhabe?“ Sie warf ihm einen Blick zu, der ihm belustigt und angstvoll zugleich erschien. „Ich denke, ich werde dem Rat folgen, den Mat mir gab, und dem einzigen Weg folgen, der mich rechtzeitig in Rands Nähe bringen kann.“

Er selbst war nicht nah genug gewesen, um es zu hören, aber Olver hatte ihm von Mats ärgerlichem Kommentar berichtet. „Das kann er doch nicht ernst gemeint haben?“ hatte der Junge besorgt gefragt. „Er sollte sowas nicht sagen...“ hatte er hinzugefügt „...die Lady Alys ist deswegen sehr erschrocken.“ Die Schlussfolgerung war so einfach wie tödlich. Allerdings sah er keinen Weg, sie davon abzubringen.

„Dann werde ich Euch begleiten. Der Shayol Ghul ist kein Ort, den man allein aufsuchen sollte.“ Er schmunzelte, als sie ihn überrascht anstarrte, obwohl ihm bei dieser Aussicht nicht danach zumute war. „Natürlich ist das kein Ort, den man überhaupt aufsuchen sollte, aber bei alten Leuten wie mir kommt es gelegentlich vor, dass sie sich närrisch verhalten.“

Egeanin schloss jetzt mit grimmiger Miene zu ihnen auf, dicht gefolgt von den Sul'dam und einigen anderen.

„Ich werde darüber nachdenken.“ sagte Moiraine leise, bevor sie ganz heran waren. Danach herrschte vorerst Schweigen.




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